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Zeitung << 1/2008 << Ein Auslandssemester mit Erasmus


Ein Auslandssemester mit Erasmus
Germanistikstudium in Kassel

Autorin: Gabriella Zsíros

Von den Erasmus-Partnerschaften des Instituts für Germanistik der Universität Szeged habe ich zum ersten Mal von einer Freundin gehört. Davor hatte ich mich eigentlich nie mit dem Gedanken eines Stipendiums befasst. Doch als meine Freundin so oft davon geredet hat, dass ein Auslandssemester eine gute Möglichkeit sei, habe ich letzten Endes gedacht: Gut, wenn ein Austauschsemester so etwas Großartiges ist, dann bewerbe ich mich um ein Stipendium.

Als ich ein paar Wochen später die Nachricht bekam, dass ich fünf Monate an der Uni Kassel studieren kann, war ich sehr überrascht, da ich nicht ernsthaft daran geglaubt habe, dass ich dieses Stipendium bekomme. Nachdem ich mich dazu entschlossen hatte, das Stipendium anzunehmen, musste ich immer wieder daran denken, was ich denn fünf Monate lang ohne Familie und Freunde in einem fremden Land weit von zu Hause machen würde. Mein Auslandssemester hat somit eher mit gemischten Gefühlen begonnen. Aber ich habe schnell gemerkt, dass meine Freundin völlig Recht hatte.

Zum ersten Mal in Kassel
Strapaziert von den Tausenden zu erledigenden Dokumenten und zu besorgenden Unterschriften bin ich im Oktober 2007 mit den anderen Erasmus-Studenten aus Szeged in der nordhessischen Stadt angekommen. Eine freundliche Tutorengruppe, die eine Orientierungswoche für internationale Studenten organisierte, hat uns empfangen. Begrüßungsveranstaltung, Ken­nen­lernen des Campus, internationaler Stammtisch, Stadtrundgang, Ausflüge in der Nähe und einige Partys bildeten das Programm dieser Woche. Es war folglich kein Problem, Kontakte zu anderen Austauschstudenten zu knüpfen und für Langeweile blieb somit keine Zeit.
Durch die vielen Erlebnisse haben wir uns in der Stadt an der Fulda sehr bald zu Hause gefühlt. Doch wie lebt es sich eigentlich in Kassel, wo alle fünf Jahre die Documenta, die weltweit bedeutendste Ausstellung für zeitgenössische Kunst, stattfindet? Die Stadt ist mit ihren 200.000 Einwohnern etwas größer als Szeged. Kassel wurde im Zweiten Weltkrieg nahezu vollständig zerstört und in den 50er Jahren in dem damaligen modernen Baustil neu aufgebaut. Dementsprechend mangelt es in Kassel zwar an kulturellen Baudenkmälern, aber man kann eine große Anzahl an Museen vorfinden. Außerdem kann niemand daran zweifeln, dass die wunderschöne Natur mit der Karlsaue, der Orangerie, dem Bergpark Wilhelmshöhe und mit dem Herkules das etwas monotone Stadtbild kompensieren. Ein weiterer Vorteil ist die Lage Kassels in der Mitte Deutschlands. So kann man am Wochenende mit dem so genannten „Schönes-Wochenende-Ticket“ (fünfunddreißig Euro für fünf Personen vierundzwanzig Stunden lang) in alle Richtungen fahren, um Deutschland kennen zu lernen.

Studium in Kassel – ein anderes Studiensystem
Nach der erschöpfenden Orientierungswoche hat die Vorlesungszeit an der Uni begonnen. Ein Semester in einem System, das sich von unserem sehr unterscheidet. Deutlich mehr Seminare als Vorlesungen werden angeboten. Da die Teilnehmerzahl in der Regel nicht begrenzt ist, sind durchaus Seminare mit bis zu hundert Studierenden vorstellbar. Im Vorlesungsverzeichnis findet man mehr Kurse, die aktuelle Themen behandeln oder sich beispielsweise mit Medien beschäftigen, als in Szeged. So habe ich zum Beispiel Seminare wie „Deutschunterricht nach PISA“, „Adoleszenz in Literatur und Film“ und „Brecht und die Medien“ besucht. Die klassischen Germanistikkurse dürfen aber natürlich auch nicht fehlen. Hier habe ich unter anderem „Grammatik der deutschen Gegenwartssprache“, „Die deutsche Komödie“ und „Goethe“ besucht. Vorlesungen werden immer mit einer Klausur in der letzten Sitzung der Vorlesungszeit abgeschlossen. In Seminaren kann man eine Note entweder durch ein Referat oder durch eine Hausarbeit, an der man meistens in der ganzen Prüfungszeit arbeiten kann, bekommen.
Zum Semesterbeginn sollte ich zuerst planen, welche Veranstaltungen ich überhaupt besuchen werde. Dabei sollte ich sowohl die Bedingungen des Erasmus-Vertrags als auch die Anforderungen der Heimatuniversität, aber auch das deutsche Credit-System berücksichtigen, das von dem ungarischen völlig abweicht. Wenn man an der Uni Kassel eine Veranstaltung besucht, in der man höchstens dreimal fehlen darf, bekommt man einen Teilnahmeschein, der zwei ECTS-Punkten entspricht. Weitere zwei ECTS-Punkte erhält man im Falle einer erfolgreichen Prüfungsleistung, also einer Klausur, Hausarbeit oder eines Referats. Die insgesamt vier ECTS-Punkte werden dann in Szeged als „Vorlesung bzw. Seminar für Stipendiaten“ anerkannt, entsprechen also in diesem Sinne zwei oder drei „ungarischen“ Credits, je nachdem, ob man im fünfjährigen Studium im zweiten oder im dritten Studienabschnitt studiert.
Kein Wunder, wenn dieses System auf den ersten Blick etwas kompliziert erscheint. Am Anfang war es ein bisschen schwierig, aber dank der netten Professoren der Uni Kassel, die sehr gute Kontakte zu dem Institut für Germanistik in Szeged pflegen und stets daran denken, dass die Erasmus-Studenten keine Muttersprachler sind, bin ich damit sehr schnell klar geworden.

Verlängerung des Stipendiums
Die Zeit zwischen dem etwas komplizierten Anfang und dem letzten Tag der fünf Monate verging so schnell, dass sie mir jetzt wie ein paar Tage vorkommt. Klar, dass ich mein Stipendium um ein weiteres Semester verlängert habe und nach Kassel zurückgefahren bin, als ich die Möglichkeit dazu bekam. Der Prozess der Verlängerung in Szeged erwies sich aber leider als sehr zeitaufwendig und kompliziert. Ich hatte gerade das Studium im Ausland beendet und bin wieder nach Ungarn zurückgekehrt, als ich drei Wochen später die Nachricht bekam, dass ich zurück nach Kassel kann. Ich hätte mir Energie, Sorgen und Geld ersparen können, wenn diese Nachricht mindestens ein Monat früher gekommen wäre. Außerdem sind die Semesterzeiten völlig anders als in Ungarn, was mir zusätzliche Schwierigkeiten bereitet hat, da das Wintersemester in Deutschland zwar offiziell Anfang Februar zu Ende ist, man aber noch bis zu zwei Monate später Prüfungsleis­tungen erbringen muss.
Zusammenfassend kann ich wirklich jedem empfehlen, ein Auslandsemester zu absolvieren. Ich bin glücklich, dass ich mich damals beworben habe. Ich habe viel von den Erfahrungen an der Uni profitiert und konnte meine Deutschkenntnisse verbessern. Außerdem habe ich aus den verschiedensten Ecken der Welt Freunde gefunden, ganz zu schweigen von den Kommilitonen aus Szeged, mit denen ich alles zusammen erlebt habe. Ich denke, ich kann auch in ihrem Namen sagen: ein Semester im Ausland ist die beste Möglichkeit, andere Sprachen, Nationalitäten, Kulturen, Menschen und sich selbst kennenzulernen.