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Zeitung << 2/2008 << Vater Unser im Himmel


Vater Unser im Himmel
Es war einmal eine Zwischenprüfung

Autorin: Anita Romsics

Vater Unser im Himmel, geheiligt werde dein Name, dein Reich komme, dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auf Erden, unser tägliches Brot gib uns heute... – murmelt die Kandidatin dieses weltbekannte und oft verwendete Gebet vor der Zwischenprüfung. Sie kann nicht schlafen, sie hat Angst. Warum eigentlich? Wovor eigentlich? Sie hat doch gelernt. Aber es gibt immer „bessere Thesen“ und „schreckliche Thesen“. Das Gebet alleine ist natürlich zu wenig für eine gute Note. Gut ist ein sehr relatives Wort, beziehungsweise eine sehr relative Kategorie. …für Noten. Manchmal finden wir Kandidaten die Note Zwei (in Ungarn genügend) auch sehr gut. Das hängt davon ab, welche Ziele uns vor Augen schweben: entweder ÜBERLEBEN oder KÄMPFEN.
Am Anfang der Prüfungszeit sind wir noch echte und motivierte Kämpfer, aber langsam wird die „Batterie entleert“. Direkt vor der Prüfung, nach mehreren Kaffees und Energiegetränken, beziehungs­weise während der „letzten“ Schachtel Zigaretten, fühlen wir uns wirklich entleert und ausgeschaltet. Die Daten, die wichtigsten Informationen der passenden These sind auch da, irgendwo versteckt durch den Offline-Effekt, in der Nachbarschaft der Axone. Nur die Daten sind so chaotisch irgendwie. Jetzt kommt die klassische Aussage: ich habe doch gelernt, oder nicht? Gestern Abend war alles wichtiger, als die Thesen büffeln. Die Wohnung ist schön sauber, man kann sagen, zu perfekt, es passiert immer, wenn wir keine Lust zum Lernen haben. Solche Tricks werden verwendet, wie alles noch einmal abzutippen, wirklich nur die wichtigsten Daten, also skizzenhaft. Am Anfang fand die Kandidatin diese Möglichkeit sehr brauchbar, aber etwa zwei oder drei Stunden später schüttelt sie den Kopf: Hmmm… vielleicht müsste ich noch ein bisschen verkürzen.
Am Morgen läuft alles normal oder gerade abnormal: joggen gehen, Kaffee mit Zigarette, die Thesen kontrollieren, ob ich alles habe, wenn ich vielleicht erst am Ende an die Reihe komme, obwohl ich immer freiwillig die erste bin oder maximal die zweite „Wettkämpferin“. Es ist nur die typische Ritualität vor der /Zwischen/prüfung. Bei solchen Fällen kann unsere Phantasie sehr aktiv sein, es ist typisch, dass wir uns, anstatt zu lernen, zum Beispiel mit etymologischen Diskussionen beschäftigen: woher stammt das Wort „Zwischenprüfung“, es symbolisiert für mich so was wie in der Mitte stehen, wenn ich schon ein HALBES Diplom erreicht habe. Ein halbes Diplom, es klingt gut, und trotz allen Aberglaubens, das kann man machen.
Für die älteren Studenten ist es klar, was für ein großes Ereignis die Zwischenprüfung ist. Aber für die BA-Studenten ist es wahrscheinlich nicht so eindeutig. Das ist ein gutes Spielchen und sorgt für gute Abendprogramme. Die Zwischenprüfung ist immer sehr markant innerhalb des Studiums, und es ist ein sehr gutes Gefühl, wenn wir schon auf der anderen Seite stehen. Fast die Hälfte der Uni-Anekdoten stammen aus diesem Zeitintervall. Es ist vorbei, die BA-Studenten können die Zwischenprüfung nicht mehr kennen lernen.
Mit solchen positiven Gedanken trat die Kandidatin in den Seminarraum hinein, sie hat eine gute These gezogen, trotzdem ist sie durchgefallen. Ihre Karriere scheiterte. Gott wollte das nicht. Die seelischen Stürme toben in ihren Gedanken, die Apokalypse ist da…
Aber nächste Woche wird sie eine andere These ziehen und alles wird besser. Wenn es wirklich so sein wird, dann kann die Kandidatin Mama und Papa eine Beruhigungs-SMS schicken. Die Eltern, die Kumpel können schon etwas anhand der „Reaktionszeit“ ahnen. Wenn die SMS ein bisschen verspätet kommt, wie die ungarischen Züge, dann stinkt hinter den Kulissen ein „petit maleur“. „Durchfall“ würde zu drastisch klingen.
Meiner Meinung nach sind bei solchen Fällen Selbstironie und Selbstkritik am wichtigsten. „Petit maleur“ können wir nach einer bestimmten Zeit vergessen. Die Anekdoten bleiben da, die wir sehr stolz der nächsten Generation berichten werden.
Meine lieben Damen und Herren! Das war eine wahre Geschichte von mir. Zuerst habe ich eine Eins in der Prüfungszeit in Linguistik bekommen, aber es lohnte sich, weil ich nächstes Mal eine Fünf gekriegt habe. Ich werde diese sehr aufregenden, aber nach der Zeit schon harmlosen Momente wahrscheinlich nie vergessen. Dafür muss ich mich bedanken: Vater Unser im Himmel, geheiligt werde dein Name...