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Zeitung << 2/2008 << Deutsche Gastlehrer in Ungarn


Deutsche Gastlehrer in Ungarn
Ein Gespräch mit Rita Streicher und Helmut Seiler aus dem UBZ

Autorin: Krisztina Szilaski

Das Ungarndeutsche Bildungszentrum (UBZ) in Baja ist ein bekanntes Bildungszentrum in Ungarn, wo in deutscher Sprache niveauvoller Unterricht abläuft (vgl. GeMa 2/2004). Die Schüler können in drei Abteilungen lernen. Neben den ungarischen Lehrern unterrichten auch Gastlehrer aus Deutschland. Als ehemalige Schülerin des Gymnasiums und auch dieser Abteilung hat mich immer interessiert, wie sich die Gastlehrer hier in Ungarn fühlen, welchen Eindruck sie von den ungarischen Schülern haben und vor allem, wie sie den Unterricht erleben. Um Antworten auf diese Fragen zu bekommen, habe ich zwei Gastlehrer des Gymnasiums gebeten, mir über ihre Erfahrungen zu erzählen. Meine ehemalige Deutschlehrerin Rita Streicher und der Deutsche Direktor des UBZ Helmut Seiler hielten mir einen kleinen „Unterricht” über ihre Erlebnisse.

Frau Rita Streicher und Herr Helmut Seiler kommen aus Baden-Württemberg. Während Frau Streicher Deutsch, Geschichte und Gemeinschaftskunde unterrichtet, sind die Fachgebiete von Herrn Seiler Mathematik, Physik und Informatik. Ihre Motivationen, im Ausland zu unterrichten, sind unterschiedlich. Frau Streicher wollte lieber im Ausland unterrichten und so bewarb sie sich um eine Stelle im Auslandsschuldienst. Seit Januar 2002 unterrichtet sie in diesem Gymnasium, über das sie Informationen von der Hauptdirektorin des UBZ Elisabeth Knáb und von Helmut Seiler erhalten hatte.
Herr Seiler hat die Vertreibung der Deutschen nach dem zweiten Weltkrieg noch als Kind erlebt und hatte später aus diesem Grund das Gefühl, dass er für diese Minderheit in Bezug auf Sprache, Kultur und Bildung etwas tun möchte. Er hatte vor eine Deutsch-Ungarische Abteilung aufzubauen. Seit 2003 ist er Schulleiter des UBZ.
Beide Lehrende haben sich an die neue Situation angepasst. Frau Streicher ist der Meinung, dass die Anpassung ganz reibungslos ging und es ist auch den Kollegen zu verdanken, die nett, offen und hilfsbereit waren. Herr Seiler fühlt sich in Ungarn wohl und zudem hält er es für interessant in Baja zu leben. Er hatte auch die Möglichkeit die ungarische Gastfreundschaft kennen zu lernen.
Auf die Frage, wie sie den Unterricht erleben und welche Erfahrungen sie damit haben, ungarische Muttersprachler auf Deutsch zu unterrichten, kamen verschiedene Antworten. „Der Unterricht ist sehr spannend, auch deswegen, weil ich mich immer auf die Situation einstellen muss. Ich muss immer neu auf die Situation reagieren” – sagte Frau Streicher. Sie unterrichtet gerne in Kleingruppen (max. 15 Schüler) und diejenigen, die schon die deutsche Sprache besser beherrschen. Herr Seiler sieht es anders. „In der Regel hat man wenig Erfahrung mit dem Unterricht, da die Mathematik- und Physikstunden anders sind.” Er muss viel Spracharbeit machen und zwar Wortlisten erstellen und viel Text an die Tafel schreiben. In den Stunden muss er eine einfachere Sprachstruktur verwenden als in Deutschland. Die Fachsprache dieser Fächer ist schwierig.

Der Unterschied zwischen deutschen und ungarischen Schülern
Beide Gastlehrer erklärten mir, welche Schwierigkeiten in ihren Stunden auftauchen. Für problematisch hält Frau Streicher, dass es schwer zu lösen sei, vieles in 3-4 Jahren zu schaffen. Darauf sollte man mehr Rücksicht nehmen. Die ungarischen Schüler müssen wie deutsche Muttersprachler behandelt werden, was zu einer recht strengen Bewertung führt, die auch viel Arbeit macht. Manchmal dauert es etwas länger, bis man sich verständlich macht. Dies würde sie als häufigstes Problem hervorheben. Herr Seiler behauptet in Bezug auf diese Frage, dass die ungarischen Schüler dazu neigen, ein ganzes Phänomen zu erklären: Alles, was sie zu einem Phänomen wissen, möchten sie erklären. Es fällt ihnen schwer in zwei, drei Sätzen konkret auf die Frage einzugehen. Die ungarischen Schüler legen mehr Wert auf Faktenwissen, im Gegensatz zu den deutschen Schülern, bei denen die Herstellung der Zusammenhänge und die Lösung der Probleme im Fokus stehen.
Sie konnten auch die ungarischen Schüler kennen lernen, und von ihnen haben die beiden Lehrer einen sehr interessanten Eindruck. Beide behaupteten, dass sich die ungarischen Schüler dem Lehrer gegenüber viel disziplinierter verhalten als die deutschen Schüler. Herr Seiler behauptete zugleich, dass die ungarischen Schüler auch ein Stück fleißiger und belastbarer sind insofern, als man ihnen mehr zumuten und von ihnen mehr verlangen kann.

Weiterbildungsmöglichkeiten der Lehrer
Ich habe mich auch darüber erkundigt, ob die Gastlehrer sich in ihren Fachgebieten weiterbilden müssen. Sowohl Herr Seiler als auch die anderen Gastlehrer müssen regelmäßig, zwei bis drei Mal im Jahr an einer Fortbildung teilnehmen. Bei diesen Fortbildungen werden Themenbereiche wie fachliche und methodische Inhalte, Unterrichtsmethodik, Erstellung von Abituraufgaben behandelt.
Frau Streicher nimmt an einem ungarischen Intensivkurs in Debrecen teil. „Ungarisch ist eine schwere Sprache!” – Ich erinnere mich noch an diesen Satz, den sie oft mit einem verzweifelten Gesicht in der Deutschstunde wiederholte. Im Gegensatz zu ihr äußerte sich Herr Seiler etwas positiver. Er hält die ungarische Sprache für interessant, vor allem die grammatische Struktur interessiert ihn. Er nimmt Privatunterricht. Der aktive Sprachgebrauch fällt ihm schwer. „Ich kann eine ganze Menge verstehen, wenn die Ungarn nicht so schnell reden”, sagt er lächelnd.
Wie ist die Beziehung zwischen den deutschen und ungarischen Kollegen? – fragte ich. Beide Lehrer halten diese Beziehung für sehr gut. Einige ehemalige Gastlehrer halten noch den Kontakt zu ungarischen Kollegen. Frau Streicher hat die ungarischen Kollegen als Familienmenschen kennen gelernt. „Sie sind ein bisschen familienbezogener, was anders ist als in Deutschland.”
Zuletzt habe ich Frau Streicher über ihre zukünftigen Pläne gefragt. Bis 2009 ist ihr Vertrag gültig. Danach muss sie zurück nach Heidelberg. Ich habe sie gefragt, was sie machen würde, falls sie noch einen Vertrag abschließen könnte. Frau Streicher würde gerne noch mal im Ausland unterrichten. „Ich fühle mich für alles offen”, fügte sie hinzu.