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Zeitung << 2/2008 << Generation Umhängetasche


Generation Umhängetasche
Martin Reichert: Wenn ich mal groß bin

Autorin: Anita Romsics

„Wir tragen Umhängetaschen und verwaschene T-Shirts. Wir tragen MacBooks in Cafes. Wir sind 30 und könnten es nicht ertragen, erwachsen zu sein.“ Die hier zitierten Worte stammen aus dem Originalwerk, aber dem Thema bin ich „zufällig“ in einem Café begegnet. Das Leben ist doch ironisch, manchmal macht es solche witzige Kurven, wie Situationskomik. Gerade über Cafés und welterlösende Gedanken lesen, während des Cafésitzens, das fand ich voll süß, deswegen wollte ich unbedingt darüber „berichten“. Nur mein Charakter ist leider nicht perfekt, diese Stimmung zu erreichen. Wieso nicht? Es ist ganz einfach: weil ich eine Frau bin.
Solche Umhängetaschen, die zu den hier erwähnten Charakteren passen, gehören zum täglichen Straßenbild, egal ob wir uns zum Beispiel in Berlin, in Luzern oder gerade in Szeged herumschauen. In anderen Kulturen würden die Leute wahrscheinlich nur lächeln: Tag für Tag ein Gepäck für das „Überleben“ mit sich herumschleppen, und zwar in einer Tasche, die für das Fahrradfahren erfunden worden war – oder dass man als Frau die Dekoltage freiwillig „zerpflügt“ – oder stundenlang im Cafe sitzen und „nichts“ machen, nur philosophieren, lesen oder gerade die anderen Gäste beobachten.
Martin Reichert stellte fest, dass das Symbole für einen Lebensstil sind. Er kritisiert den Stil dieser „Generation Umhängetasche“, der er selber angehörte. Diese Männer und Frauen sind, nach der Meinung von Reichert, Mitte dreißig. Ich glaube, bei uns in Ungarn ist diese Altersgrenze niedriger. Ich würde zum Beispiel die Studenten auch dazuzählen. Also, der Wahlspruch dieser Männer könnte lauten: „Eigentlich sollten wir erwachsen werden“, was sie aber nicht gründlich genug versuchen.
Was steckt eigentlich in diesen Taschen? Es gibt mehrere witzige Experimente beziehungsweise Umfragen, wo Studenten gefragt wurden, was sie nie zu Hause lassen, was in den Frauentaschen oder in den Umhängetaschen steckt. Reichert beschreibt ironisch das Phänomen „Freitag-Tasche“. Zeitschrift, Pop-Roman (im Kreis der Studenten wäre es wahrscheinlich eine Gedichtsammlung oder irgendwelche Perlen aus der Liste der Pflichtlektüre), Tagebuch (bei Frauen typischer), Notizbuch, MacBook, (im Kreis der Studenten in Szeged ist vielleicht unsere Uni-Bibliothek populärer, wegen des „sparsamen Lebensstils der Geisteswissenschaftler“), Zigaretten, (bei Studenten natürlich immer die billigste Sorte, oder gerade mit Entzugserscheinungen), Handy, eine angebrochene Packung Schokolade, Zahnbürste, iPod, Schlüsselbund, Kondome, Kaugummi, Mineralwasser (manchmal Bier, aber in der Prüfungszeit sicher ein Energiegetränk).
Nach der Meinung von Reichert verbringt diese Generation wesentlich mehr Zeit in Cafes als zu Hause, und das stimmt auch. Sie will auf keinen Fall spießig wirken und arbeitet deshalb lieber an „Projekten“, als in einem regelmässigen Beruf – so wie es Erwachsene zu tun pflegen.
Wovon lebt diese Generation Umhängetasche eigentlich? Die erste Version, dass sie immer noch im „Papa-Mama-Hotel leben“, aber mit der Zeit wird es schon peinlich, also versuchen sie alleine zu wohnen. Diese Version ist eher in Ungarn populär, aber natürlich wird es im Notfall zum Beispiel sowohl in der Schweiz als auch in Deutschland praktiziert, vielleicht überall in der Welt. Viele von ihnen arbeiten im Kreativ- oder Medienbereich.
Diese Generation ist durch Selbstverwirklichung geprägt: sie wollen ihr eigenes Ding, ihren eigenen Traum durchziehen. Das zwanzigste Jahrhundert war das der Jugend, von den 68er bis heute: die Jugendkultur wurde immer idealisiert. Es ist fast notwendig jugendlich zu leben, jugendlich zu bleiben. Nicht nur diese „goldenen Titanen“ (auf Ungarisch klingt es noch besser: „aranyifjak“) möchten so lang wie möglich jung bleiben, sondern auch die Frauen. Nur die Motivierung ist etwas anders bei den zwei Geschlechtern. Bei Männern ist es eher Angst oder Flucht von der Verantwortung. Bei Frauen ist es irgendwie anders. Es ist auch eine Falle, ein typisches Phänomen der Konsumgesellschaft: das erwartet die Gesellschaft von uns. Diese verrückte Welt braucht „Superfrauen“ und „Supermänner“. Heutzutage spielt es eine sehr bedeutende Rolle auch auf dem Arbeitsmarkt: Jung denken, jugendliches Outfit haben. Der Soziologe François Höpflinger an der Uni Zürich charakterisiert diese Generation als eine Art „gestrandete Zeitreisende“.
Das Buch von Reichert kennzeichnet sehr gut die Welt der Berliner Cafés, die Welt der „modernen Boheme“. Diese Stilrichtung verbreitet sich hauptsächlich in größeren Städten. Es ist also praktisch ein Phänomen der Stadt. Es ist eine Kritik, zum Teil Selbstkritik. Aber es ist auch ein lustiges Werk, wenn jemand z.B. Mühe hat, neben einem Kaffee ein bisschen nachzudenken.