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Zeitung << 1/2009 << Lass mich über Auschwitz sprechen


Lass mich über Auschwitz sprechen
Antworten auf Fragen zu Auschwitz

Autorin: Anna Angyalka Lukács

„Wir wissen jetzt, und das war vorher nicht so klar, dass Vorurteile zu einem Holocaust führen können, und das ist eine Warnung an alle, nicht nur für Deutschland. Wenn man die Frage des Holocaust nur auf Deutschland beschränkt, dann ist es sehr leicht zu sagen: Wir sind ja keine Deutschen. Bei uns kann das nicht passieren. Nein! Es kann überall geschehen!”

Ich war noch nie in Auschwitz. Es ist nicht so, dass ich nicht die Gelegenheit gehabt hätte. Aber es ist einfach so, dass mich irgendetwas von diesem Ort fernhält. Vielleich war ich darum so dafür, dieses Buch zu lesen. Auf der Rückseite steht folgendes: „Die Kenntnisse und Erfahrungen der Gesprächspartner sind eine ausgezeichnete Vorbereitung für einen eigenen Besuch allein oder als Gruppe.” Das kann ich nur bezeugen! Der erste Schock kommt schon beim Lesen der ersten Seiten. Natürlich weiß man relativ viel über Auschwitz, man hört dies und das im Unterricht, oder im Fernsehen. Aber ist man wirklich auf den Anblick im Museum vorbereitet?
Ich war mir immer im Klaren darüber, dass hier ganz schlimme Dinge passiert sind. Grausame Dinge. Aber so ausführlich, die Grausamkeiten ins kleinste Detail beschrieben – das hat mich zu Boden geworfen. Ich war noch nie so zornig und nie so empört, wie nach dieser Literatur. Im ersten Kapitel Die Zeitzeugen erzählt unter anderen Henryk Mandelbaum über seine Erlebnisse im Sonderkommando. Die Mitglieder des Sonderkommandos waren ebenfalls Häftlinge, deren Aufgabe es war, die in den Gaskammern ermordeten Juden zu verbrennen. Bis dahin war mir beim Lesen noch nie schlecht geworden.
Die fünf folgenden Kapitel sind: Die Multiplikatoren, Das Museum, Die Freiwilligen, Die Besucher und Die Stadt Oswiecim und ihr Umland. Sie enthalten Gespräche mit Leuten, die jeweils zu einer der aufgezählten Gruppen gehören. Menschen aus allen verschiedenen Schichten und Ländern: Israelis, Deutsche und Polen, Überlebende, Mönche, Pädagogen, Direktoren und Reiseleiter, Schüler, Studenten und Bürgermeister. Durch diese breite Skala wird die These untermauert, dass Auschwitz ein Problem ist, das sich auf alle sozialen Ebenen bezieht, und darum nicht verbleichen sollte. Was ich an diesem Band am bemerkenswertesten finde, sind gerade diese vielfältigen Blickwinkel, aus denen das Problem angesprochen wird. Man würde gar nicht glauben, wie aktuell das Thema Holocaust ist! Beim Lesen wird man durch die vielen persönlichen Aussagen immer enger mit Auschwitz verbunden, man wird Teil des Ganzen. Ob man sich am Ende als Unschuldiger, Verantwortlicher oder Betroffener fühlt, hängt vom Leser ab, aber ab da kann man das Schicksal anderer nicht mehr mit einem kalten Blick betrachten, man ist nicht mehr Außenseiter.
Bestimmt haben sich schon viele diese Fragen gestellt: Kann man ein Leben nach Auschwitz leben? Wie verarbeiten die Überlebenden die Erinnerungen? Wo war Gott, als all dies geschah? Warum opfert ein Katholik sein Leben für einen Juden? Wie ist es als Jude, in diesem Museum zu arbeiten? Wie ist es, als Deutscher nach Auschwitz zu fahren? Was passiert, wenn sich während der Besichtigung eine deutsche und eine jüdische Gruppe begegnen?
Wer die Antworten wissen will, sollte dieses Buch auf jeden Fall lesen! Wer das Todeslager besichtigen will, sollte dieses Buch auf jeden Fall lesen! Und überhaupt, wer in der Zukunft ein bisschen besser sein will, sollte dieses Buch unbedingt lesen! Und was mich betrifft: ich werde bei der nächsten Gelegenheit nach Auschwitz fahren, um den unschuldigen Opfern einer fanatischen Gruppe zu gedenken.
„Für mich persönlich bedeutet Auschwitz, dass ich mich stärker verpflichtet fühle auf Negatives zu reagieren. (…) Ganz allgemein heißt das: Toleranz lehren und jegliche Art von Vorurteilen zu bekämpfen. Das ist gewisser Weise meine Mission, die mit dieser Stätte verbunden ist, und so gehe ich auch damit um.” (Tomasz Kuncewicz, Direktor des jüdischen Museums)