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Zeitung << 1/2009 << Macht durch Disziplin! Macht durch Gemeinschaft! Macht durch Handeln!


Macht durch Disziplin! Macht durch Gemeinschaft! Macht durch Handeln!
Morton Rhue: Die Welle

Autorin: Anita Romsics

„Wie entsteht Faschismus? Können Sie sich vorstellen, dass es heutzutage noch einmal passieren kann?” – klang diese triviale Frage in einem Klassenraum in den 50ern irgendwo in Kalifornien. Die Antwort war eindeutig: Nein, es kann nicht noch einmal vorkommen. Heutzutage ist das unmöglich.

Diese Situation kam noch einmal vor, schon im 21. Jahrhundert in einer deutschen Mittelschule. Die Schüler fanden diese Frage sehr langweilig, überflüssig, denn gerade in Deutschland haben sie schon sehr viel über Faschismus geredet. Also: „Nein, es kann nicht noch einmal passieren” – klang die eindeutige Antwort in Rahmen einer Projektwoche im heutigen Deutschland. Diese Projektwochen sind sehr beliebt in Deutschland, weil die Schüler spielerisch lernen können, sie nehmen aktiv teil, diskutieren fast wie die Erwachsenen. Und der hier vermittelte Lernstoff gehört nicht so streng zum Pflichtprogramm. Also, etwas Spezielles und es macht wirklich Freude. Mein Titel könnte auch so klingen: „Ein Bericht über einen Unterrichtsversuch, der zu weit ging“.
Wie kann ein Experiment sich verbreiten und außer Kontrolle geraten? Massenhypnose wird mit Highschool-Geschichte gemischt. Die Buch-Version aus dem Jahr 1981 war auch sehr spannend, zuerst auf Englisch geschrieben, 1987 ins Deutsche übersetzt, und jetzt ist endlich die deutsche Filmversion da! Früher gab es schon eine amerikanische Filmversion, aber meiner Meinung nach, ist die deutsche Version viel besser gelungen.
Ich möchte nicht auf die Unterschiede hinaus, trotzdem sind sie auffallend: Die verschiedenen Szenen wurden eingedeutscht. Die ursprüngliche wahre Geschichte spielt 1957 in den USA, die Film-Version von Dennis Gansel spielt im heutigen Deutschland. Wegen der schockierenden Effekte hat man auch das Ende der Geschichte verändert. Katharsis ist da, bestimmt. Spannung schwebt auf dem Grad Superlativus, die Musik ist übermodisch, und die Tabus sind irgendwie weg. Ein gut gelungener Film, mit sehr viel Aktion. Die Kritiken – sowohl von „Wissenschaftlern” als auch von Kinofans – hatten die gleiche Meinung: eindeutig positiv. Es ist nützlich, aufmerksam zu beobachten, wie die Bewegung sich verbreitet. Zunächst in der Klasse, dann in einer kleineren Clique wird es zuerst Mode, danach fast Bandenkrieg und schließlich Massenhypnose. Es gibt einige Elemente, die stark an Faschismus erinnern, aber im Originalwerk sind sie nicht drin, zum Beispiel die Begrüßung im Kreis der Welle-Mitglieder oder die „Uniform”. Im Originalwerk haben die Schüler keine Welle-Uniform, sondern nur ein besonderes Zeichen, einen Stempel auf der Kleidung. In diesem Film bekommen die Symbole eine größere Rolle. Das Welle-Symbol wird als Graffiti benutzt, es wird in einer Nacht überall in der Stadt verteilt. Diese Szene erinnert stark an die „Kristallnacht” aus der Geschichte. Ein Beweis dafür, was für Organisationen man in sehr kurzer Zeit ins Leben rufen kann.
Die seelische Verwandlung der Figuren ist auch wichtig. Der Lehrer verliert seine Selbstkontrolle, seine eigene Frau kann auch nicht mehr mit ihm auskommen. Bei ihm spielen Minderwertigkeitskomplexe eine Rolle. Früher war er ein durchschnittlicher Lehrer, sein Abitur hat er auch erst später abgelegt, seine Frau war immer die größte Streberin. Bei der Projektwoche bekommt er vom Schicksal eine Chance, um den anderen seine versteckten Talente zu zeigen. Seine Schüler kämpfen auch Tag für Tag zu Hause. Zum Beispiel ein Türke, der jeden Tag mit Rassismus zu tun hat, oder Tim, der vor der Welle absolut keine Freunde hatte. Die unter Beeinflussung stehenden Schüler betonen es mehrmals: sie haben von der Welle etwas bekommen, sie fühlen sich glücklich und nützlich. Sie haben etwas bekommen, das sie früher nicht hatten: Kraft. Ein charismatischer „Führer” wirkt immer skandalös, und diese neue verkehrte Welt scheint nur im Auge der Anderen komisch oder gerade schon gefährlich. Es kommt zu Gewalt zwischen den Mitgliedern und denen, die nicht mitmachen wollen. Und niemand weiß, wann es zu Ende sein wird und wie man es beenden kann. Der ursprüngliche Plan des Lehrers war es, am Ende der Projektwoche die ganze Welle aufzulösen, aber er hat nicht mit dem Ausmaß der Bewegung gerechnet.
Die offizielle Kennzeichnung des Filmes als Drama stimmt. Er hat alle „dramatischen Merkmale”, hauptsächlich die ständig steigende Spannung. Die Schauspieler sind auch besondere Charaktere, unter anderen Jürgen Vogel (der Lehrer) und Max Riemelt (ein Schüler namens Tim).