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Zeitung << 1/2009 << „Diese 6 Monate in Berlin werde ich nie vergessen…“


„Diese 6 Monate in Berlin werde ich nie vergessen…“
Ein Copernicus Stipendiat über seine Zeit in Berlin

Autor: Ivan, Copernicus-Stipendiat aus Belarus

Eine neue Sprache, ein erweiterter Horizont und Freundschaften, die oft ein Leben lang halten. Das Auslandsstudium ist der Traum vieler Studenten. Das Team von Copernicus Berlin e.V. lässt diesen Traum Wirklichkeit werden und ermöglicht jungen osteuropäischen Studenten Studienaufenthalte in Deutschland. Der von Studenten ehrenamtlich geführte Verein mit Töchtern in Hamburg und München organisiert neben dem Studium den Aufenthalt bei Gastfamilien, Berufspraktika sowie begleitende Seminare und Exkursionen. Finanziert werden die Vollstipendien durch Stiftungsgelder, Spenden oder Patenschaften, die die Vereinsmitglieder einwerben. 

Ivan aus Belarus war im Wintersemester 2008/2009 Copernicus-Stipendiat und berichtet über sein Leben bei der Berliner Gastfamilie, sein halbjähriges Studium an der Humboldt-Universität und sein Praktikum im Deutschen Bundestag:

Sechs Monate, die ich, Ivan, in Deutschland verbracht habe, waren ein erfahrungsreiches Ereignis für mich. In dieser Zeit habe ich genau so viel erlebt, wie in den letzten sechs Jahren.
Ich bin am 30. September nach Berlin gekommen. So begann mein Aufenthalt in Deutschland. Copernicaner haben mich vom Hauptbahnhof abgeholt und nach Zehlendorf, in meine zukünftige Gastfamilie gebracht. Es ist wirklich toll, wenn dich jemand in einem fremden Land abholt und die ersten Stunden begleitet.
In den ersten Tagen haben wir mit Hilfe von Copernicus alle bürokratischen Sachen, wie Ausländerbehördenanmeldung, Kontoeinrichtung und die Registrierung bei der Krankenkasse erledigt. Und dann kam die Immatrikulation an der Universität. Ich wurde an der Humboldt-Universität zu Berlin, Philosophische Fakultät III immatrikuliert – so war es mein Wunsch. Zu Hause studiere ich Internationale Beziehungen, deshalb habe ich mir hier auch Vorlesungen in diesem Bereich gesucht, wie z.B. die Außenpolitik Deutschlands, die Geschichte der Internationalen Beziehungen, Einführung in die Osteuropapolitik, menschliche Sicherheit sowie das Regierungssystem der BRD. All die Vorlesungen und Seminare haben mir neue Kenntnisse und Ansichten im Bereich der Politikwissenschaften und der Internationalen Beziehungen gegeben. Zusätzlich habe ich noch einen Deutschsprachkurs am Sprachzentrum der HU-Berlin belegt, um meine Sprachkenntnisse zu verbessern.
Dank Copernicus habe ich einen guten Einblick in das deutsche Uni-System bekommen und es mit dem belarussischen Uni-System vergleichen können. Es gibt große Unterschiede zwischen beiden Systemen. In Deutschland machen sich Studenten selbst einen eigenen Stundenplan, sie wählen sich selbst Vorlesungen und Seminare aus, die sie besuchen wollen. Seminare an den deutschen Unis sind intensiver, die Studenten sind aktiver und besprechen immer etwas. Aber ich sehe auch Nachteile im deutschen System - zum Beispiel, dass Studenten oft keine Ahnung haben, an wen sie sich mit bestimmten Fragen wenden müssen, alles ist zu dezentralisiert.
Und noch eine persönliche Bemerkung: ausländische Studierende müssen schon ziemlich gut Deutsch können, um maximal vom Studium in Deutschland profitieren zu können. Mein Deutsch war zu Beginn meines Aufenthaltes in Berlin sehr schlecht, deshalb hatte ich oft Probleme die Vorlesungen zu verstehen.
Zum Copernicus-Programm gehört auch ein sechswöchiges Praktikum, das ich Mitte Februar angefangen habe. Ich hatte bereits Ende Oktober mit der Suche nach einem Praktikumsplatz begonnen. Mein Wunsch war es, mein Praktikum im Bundestag bei einem Abgeordneten zu machen. Schon Anfang Dezember wurde mir die Zusage geschickt. Ich möchte hiermit noch einmal vielen Dank an Copernicus sagen, die ein Plenum extra dem Praktikum und den Bewerbungen gewidmet haben. Ohne diese Hilfe wäre sicher alles schwieriger gewesen.
Das war das erste Praktikum in meinem Leben und man kann sagen, dass es gelungen ist. Ich habe viel Neues gelernt. Zu meinen Aufgaben gehörten die Arbeit mit der Post, die Teilnahme an den Sitzungen des Deutschen Bundestages (Arbeitsgruppe, EU-Ausschuss) und die Recherche nach folgenden Themen: EU-Themen, Osteuropa, bürorelevante aktuelle Themen, Ticker auf relevante Themen beobachten. Zusammen mit meinem Chef haben wir auch interessante Veranstaltungen der verschiedenen Stiftungen und Botschaften besucht. Im Büro waren wir zu dritt, zwei ständige Mitarbeiter und ich. Es war immer eine sehr freundliche Atmosphäre und wir haben sehr schnell eine gemeinsame Sprache gefunden. Deshalb hatte ich niemals Probleme mit Beziehungen zu anderen.
Copernicus-Stipendiaten wohnen bei deutschen Familien. Ich war auch keine Ausnahme. Zuerst hatte ich ein bisschen Angst und das kann man auch verstehen, ich musste sechs Monate mit mir unbekannten Leuten zusammenwohnen. Aber ich hatte eigentlich nur vor meiner Ankunft Angst. Wir haben uns sehr schnell angefreundet und standen die ganze Zeit, die ich in Berlin verbracht habe, in sehr gutem Kontakt.
Jetzt, nach meinem Aufenthalt in Deutschland kann ich sagen: es ist wirklich Klasse, dass Copernicus seine Stipendiaten in deutschen Familien unterbringt. Bei meinen früheren Aufenthalten in Deutschland habe ich im Studentenwohnheim gewohnt und kann vergleichend sagen, dass es passieren kann, dass man im Wohnheim fast keinen Kontakt zu anderen hat und das bedeutet, dass man seine Sprachkenntnisse und Landeskunde nicht so gut verbessern kann und man sich allein fühlt! Es ist völlig anders in einer Familie, ich habe jeden Tag mit meinen Gasteltern über verschiedene Themen gesprochen: Politik, Kultur und aktuelles Weltgeschehen. Ich habe die deutsche Kultur, die Traditionen und Bräuche besser kennen lernen können. So war ich Weihnachten und Silvester in Berlin und ich war bei der Hochzeit der Tochter meiner Gasteltern. Das war ein tolles Erlebnis! Am Ende meines Aufenthaltes haben mich meine Gasteltern herzlich eingeladen, zusammen mit Ihnen in die „kleine“ Heimat meines Gastvaters zu fahren. Wir haben zusammen ein tolles Wochenende in Baden-Württemberg verbracht! Ich habe die Möglichkeit bekommen, ein deutsches Dorf kennenzulernen, eine mittelalterliche Stadt zu besuchen und einen Einblick in die moderne Landwirtschaft zu werfen. Jeder Gaststudent träumt von solch einer Gastfamilie! An dieser Stelle möchte ich mich noch einmal herzlich bei meiner Gastfamilie bedanken.
Ein weiteres Erlebnis war für mich mein Länderabend. Alle Studenten im Rahmen des Programmes müssen ihr Land präsentieren. In diesem Jahr haben wir mit dem „Deutsch-Russischem Austausch“ kooperiert. Ich habe meinen Länderabend zusammen mit den zwei DRA-Stipendiaten vorbereitet. Unser Thema war „Pressefreiheit in Osteuropa: Belarus, Russland und Ukraine“. Am Ende des Vortrages gab es eine spannende Diskussion und danach haben alle Gäste die Möglichkeit gehabt, traditionelle belarussische, russische und ukrainische Spezialitäten zu genießen.
Während meines Aufenthaltes habe ich jeden zweiten Montag das Copernicus-Plenum besucht. Dabei konnte ich einen Einblick in das Vereinsleben bekommen. Es wurden immer wichtige Themen behandelt, die den Verein und vor allem die Stipendiaten betrafen.
Diese sechs Monate in Berlin, die ich dank des Copernicus Berlin e.V. hier verbringen konnte, werde ich nie vergessen. Ich glaube, dass diese Erfahrungen ein gutes Fundament für meine Zukunft sein wird. Und noch einmal, herzlichen Dank, liebe Copernicaner!


Copernicus Berlin e.V.

Copernicus Berlin e.V. ist ein ehrenamtlicher Verein, der vor 9 Jahren von Studenten gegründet wurde, um motivierten und sozial benachteiligten Studenten aus Osteuropa und Zentralasien einen Auslandsaufenthalt in Deutschland zu ermöglichen. Realisiert wird der Austausch über ein Stipendienprogramm, das sowohl das Leben bei einer Gastfamilie als auch die Betreuung durch einen persönlichen Mentor beinhaltet. Die Mentoren sind ehrenamtliche Mitglieder des Vereins, die den Stipendiaten mit Rat und Tat zur Seite stehen, damit sich diese im anfänglichen Durcheinander besser zurechtfinden. Der Mentor fungiert dabei als Berater und Freund der sowohl bei Alltagsfragen als auch bei Universitätsproblemen unterstützend zur Seite steht. Gemeinsam organisierte Länderabende, in denen jeder Stipendiat sich und sein Land in deutscher Sprache präsentiert, fördern dabei den Austausch zwischen den verschiedenen Kulturen, das Bewusstsein für die Vereinsarbeit und die interkulturelle Kompetenz. Gleichzeitig helfen sie Vorurteile und soziale Ängste abzubauen sowie landestypische Köstlichkeiten kennen zu lernen.
Neben dem kulturellen Austausch steht vor allem die fachliche Entwicklung der Stipendiaten im Mittelpunkt. Sie studieren ein Semester an der Humboldt Universität oder einer anderen Berliner Hochschule und müssen sich während dieser Zeit mit einem neuen Hochschulsystem vertraut machen, ihre sprachlichen Kompetenzen ausbauen und entsprechende Leistungsnachweise erbringen. Darüber hinaus absolviert jeder Stipendiat während seines Aufenthalts ein Praktikum um seine beruflichen und persönlichen Fähigkeiten zu verbessern. Um dies zu gewährleisten arbeitet Copernicus mit vielen Firmen, politischen Organisationen uns sozialen Einrichtungen zusammen. Diese Erfahrungen sollen die Stipendiaten auf die internationale Forschungsarbeit vorbereiten und ihnen zur zukünftigen Orientierung in einem neuen, ihnen unbekannten System dienen.
Wer sich für das Copernicus-Stipendienprogramm interessiert, kann sich im Internet unter www.copernicus-stipendium.de über den von Studenten getragenen Verein informieren.
Inga Matzdorf, Copernicanerin