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Zeitung << 1/2010 << Bologna sind keine Spagetti


Bologna sind keine Spagetti
Lehrerausbildung im Bologna-System

Autorin: Beáta Tomasovszki

In den vorigen Jahren vollzog sich ein Wechsel im ungarischen Hochschulwesen. An den Universitäten sind zwei unterschiedliche Bildungsformen miteinander konfrontiert: eine alte, bewährte Methode steht dem neuen Bologna-System gegenüber. Wie berühren diese Vorgänge die Lehrerausbildung? Wie fühlen sich die Lehrerkandidaten in dieser Situation? Ist es eigentlich möglich, ein wirksames Lehramt in einem zerschlagenen System zu verwirklichen?

Das Bologna-System wurde in Ungarn 2006 eingeführt. Die ersten philologischen und auf Lehramt basierenden Masterstudiengänge wurden aber erst vor einem Jahr, im September 2009 eingeführt. Es sieht so aus, dass die Fehler und Schwächen der neuen Bildungsform schneller an die Oberfläche kommen als ihre positiven Wirkungen. Wie ist dieses neue System im Bezug der Lehrerausbildung eigentlich aufgebaut?

Das neue System
Im Bologna-System Lehramt zu machen ist nur mit zwei Fächern möglich. Das Major-Fach als Hauptfach wird in 120 Kreditpunkten und das Minor-Fach (Nebenfach) nur in 50 Kreditpunkten im BA-Studium unterrichtet. Das BA-Studium gilt auch den zukünftigen Lehrern hauptsächlich als eine philologische Grundlage. Das Pädagogikum umfasst nur fünf Kurse, die nur eine sehr allgemeine Einleitung in die Psychologie und Erziehungswissenschaft sichern.
Die fachliche Ausbildung beschränkt sich auf das MA-Studium, das 2,5 Jahre dauert. Auf der Masterebene wird kein Unterschied zwischen Major- und Minorfach gemacht, sie sind gleichrangig. Die 120 Kreditpunkte können in drei 40 Kredit-Einheiten (80 Kreditpunkte aus den zwei Fächern, 40 Kreditpunkte aus den pädagogischen und psychologischen Kursen) aufgeteilt werden. Die Fachdidaktik – im Falle des Deutschen – wird, wie vorher, zwei Semester lang unterrichtet. Was in diesem System verändert wurde, ist das Praktikum, das aus zwei Teilen besteht. Im Laufe des zweiten Jahres müssen die Kandidaten ein Kurzpraktikum in beiden Fächern absolvieren. Ein ganzes Semester steht den Studierenden zur Verfügung, damit sie ihre vorwiegend theoretischen Kenntnisse in die Praxis übertragen und im Leben einer Schule aktiv teilnehmen können.

Was denken sie über das System, in dem sie studieren…
…die Versuchskaninchen von Bologna?

Die Studenten, die in dem alten System studierten, konnten ihr Studium in einem ausgearbeiteten System vollenden, wir sind aber Teilnehmer eines Vorganges, der nicht nur für die Kandidaten, sondern auch für die Dozenten unbekannt und nicht immer durchschaubar ist. Die Studenten wissen nicht immer, wen sie um Hilfe bitten könnten. Aus dieser Unausgegorenheit stammen meistens die Problemfälle.
Ich habe von der Lehrerseite Katalin Petneki, die am Szegeder Institut für Germanistik für Fachdidaktik verantwortlich ist, gefragt. Sie hat auch diese Unsicherheit und Verwirrtheit betont: „Das neue Modell wurde ohne Erprobungsphase, zu schnell, sogar hektisch, ohne Erwägung von Vor- und Nachteilen eingeführt. Es gab keine Zeit für die Vorbereitung auf die Umstellung: das Programm läuft schon, und es gibt immer noch viele, nicht geklärte Punkte. Es fehlt ein organisatorischer Hintergrund. Das ganze Programm wurde von Vertretern der Erziehungswissenschaften ausgearbeitet, ohne die Fachgebiete einzubeziehen. Dort, wo die Fachbereiche hineinreden konnten, wurden solche Anforderungen formuliert, die dann bei der Erstellung des Programms ignoriert wurden.“
Kornél und Kata sind der Meinung, dass man einen größeren Akzent in diesem neuen System auf die sprachliche Entwicklung der Kandidaten legen müsste. Man hat großteils ungarischsprachige Lehrveranstaltungen und das Deutsche rückt deshalb in den Hintergrund. Daneben müssen die Bologna-Studenten eine strengere, berufliche Aufnahmeprüfung zum Start ins Masterstudium ablegen, wo die Fähigkeiten und Eigenschaften, die zum Lehrersein unerlässlich sind, geprüft würden. So könnten die „Hobby-Lehrerkandidaten“ herausgefiltert werden. Es könnte die Professionalisierung und Geschätztheit des Lehrerberufs fördern.

…die Studenten des alten Systems?
Demgegenüber, dass die Übergabe und die Aneignung des theoretischen Wissens im Vordergrund der Ausbildung stehen, meinen die Befragten im alten System, dass sie ihre fachdidaktischen Kenntnisse im Laufe des Praktikums gut verwenden konnten. András bemerkte, dass ein zu großer Akzent auf die Geisteswissenschaften wie Literatur und Linguistik im Lehramt gelegt wird. Mehrere sind der Meinung: die Fachdidaktik wird immer noch vernachlässigt. Man würde mehr Stunden in diesem Bereich brauchen. Robert meint, es wäre sinnvoll, wenn der praktisch orientierte Unterricht, wo es möglich ist, im Vordergrund stehen sollte. Er denkt, dass die pädagogischen Kurse nur eine verschwendete Zeit bedeuten, weil die Kandidaten aus dem Praktikum mehr profitieren können. Die Veranstaltungen in Erziehungswissenschaften und Psychologie sind meistens Vorlesungen, und in diesem Fall haben wir keine Möglichkeit, uns in einige Themen zu vertiefen oder diese zu besprechen.
Was in dem alten System eindeutig positiv war, ist, dass die allgemeinen didaktischen Kurse schon ab dem ersten Jahr belegbar waren. Die Kandidaten konnten im zweiten Jahr Studienbeobachtungen machen, so konnten sie sich an die Atmosphäre der Schule gewöhnen. Die Studenten wurden in die Welt des Unterrichts und Lehrerseins von den Anfängen langsam eingeführt. Im Bologna bekommen wir die didaktische und pädagogische Bildung in einer verdichteten Form. Das Tempo vom MA erwischt die Studenten wie eine kalte Dusche nach dem BA, weil wir uns in den ersten drei Jahren fast gar nicht mit der Pädagogik beschäftigen, und danach bleiben nur zwei Jahre, alles zu erlernen.
In dem neuen und alten System wird das Praktikum in einem Portfolio zusammengefasst. „Das Portfolio war ein Vorteil des germanistischen Lehramtsstudiums gegenüber vielen anderen Fächern, wo es keinen Rückblick auf die Tätigkeiten in der Schule gab. Im Portfolio haben wir zusammengefasst, welche Erfahrungen wir im Laufe des Praktikums gesammelt haben und wie wir die Stunden gestaltet haben. Darauf kann man auch später zurückgreifen, wenn man nach dem Studium als Lehrer arbeitet.“ – sagte András.

Versagt Bologna in der Lehrerausbildung?
In Verbindung mit der Lehrerausbildung taucht nicht nur im Kreis der Studenten, sondern auch in den höheren Ebenen der Universitätsführung die Vorstellung auf, dass man das fünfjährige System wieder herstellen sollte. Vor der Szegeder Rektorwahl im Sommersemester 2010 nahmen beide Kandidaten (Tibor Wittmann und Gábor Szabó) dazu Stellung, dass der Bologna-Prozess bezüglich der Lehrerausbildung nicht funktioniert hat. Tibor Wittmann sagte, dass eine qualitative Bildung in diesem zerschlagenen System nicht möglich sei. Die ersten drei Jahre geben kein nutzbares Wissen.
Früher gab es eine einphasige Ausbildung, d.h. Fachstudium und Lehrerausbildung waren nicht voneinander getrennt und die Fachausbildung hatte ein größeres Gewicht. Katalin Petneki hält die fünfjährige Bildung auch für besser: „Man hat mit dem Pädagogikstudium früher angefangen. Fachdidaktik konnte man erst nach dem Rigorosum in Pädagogik anfangen, d.h. man konnte (zumindest theoretisch) auf allgemeine pädagogische Kenntnisse aufbauen (z.B. was bedeutet Frontalunterricht oder Partnerarbeit usw.)“ Im neuen System wissen die Dozenten oft nicht, über welche Kenntnisse die Studenten schon verfügen, was für Kurse sie schon hatten.
Das Ziel mit der Einführung des europäischen Universitätsmodells war, dass die Diplome in allen Ländern der Europäischen Union akzeptiert werden. Gábor Szabó vertrat die Meinung, dass man die guten Lehrer in unserer Heimat braucht und der primäre Standpunkt sei nicht die EU-Konformität – was das qualitative Lehramt betrifft.