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Zeitung << 1/2010 << Studentenmobilität und internationale Projekte – mehr als Spracharbeit und Sprachwissenschaft


Studentenmobilität und internationale Projekte – mehr als Spracharbeit und Sprachwissenschaft
Das Wirken der DAAD-Lektorin Ellen Tichy an der Universität Szeged

Autoren: András Horváth, Anikó Mészáros

Sie hat sechs Jahre lang am Institut für Germanistik der Universität Szeged unterrichtet, internationale Projekte und Studienreisen für die Germanistikstudierenden organisiert, und zahlreiche Studierende bedanken sich bei ihr für die Motivation und die Hilfe bei der Bewerbung um verschiedene Auslandsstipendien. Nun verlässt uns unsere „Rad fahrende“ DAAD-Lektorin, Dr. Ellen Tichy.

Sie war jahrelang an deutschen und ausländischen Universitäten tätig, bevor ihr neues Leben in Szeged begann. Es ging erst einmal um zwei Jahre in der sonnigsten ungarischen Stadt. Nach diesen zwei Jahren soll man sich nämlich entscheiden, ob man den Vertrag verlängert und noch weitere drei Jahre am DAAD-Lektorat bleibt. Frau Tichy hat es hier sehr gut gefallen und blieb sogar noch ein sechstes Jahr in Szeged. Warum daraus eine so lange Zeit geworden ist, schreibt sie unter anderem dem Arbeitsklima zu: „Zum Beispiel Professor Bassola hat so eine konstruktive Atmosphäre am Lehrstuhl verbreitet, dass ich gedacht habe, hier arbeite ich gerne“. Sie hat hier viele positive Rückmeldungen über ihre Arbeit bekommen, und ihre Ideen fanden immer eine Unterstützung.

Durch Mobilität erwachsen werden
Als sie nach Szeged gekommen ist, erwartete sie eine neue Situation. Nach jahrelanger Arbeit in Deutschland, gekennzeichnet durch mehrere kürzere Auslandsaufenthalte, brach sie wieder für eine lange Zeit auf und landete in Ungarn. Schnell ist für sie klar geworden, wo sie sich für uns hier effizient einsetzen kann: im Bereich Studentenmobilität.
Im zweiten Semester sorgte Frau Tichy in ihrer Vorlesung für eine gewisse Spannung unter den Studenten, indem sie die heikle Frage stellte: „Wer war noch nicht in Deutschland?“ Es gab immer ein paar Studenten, die schüchtern ihre Hand hoben. Frau Tichy zögerte nicht lange und erwiderte: „Dann fahren Sie im Sommer. Bewerben Sie sich!“ Danach lud sie diese Studenten in ihre Sprechstunden ein. Hier bekamen sie von unserer Lektorin Tipps und Ratschläge, wie der Gedanke in die Tat umzusetzen ist. Viel Energie hat sie in diesem Bereich investiert, und die Lage hat sich im Laufe der Jahre sehr stark in eine positive Richtung verändert. Als DAAD-Lektorin war sie für Stipendien verschiedener Art und Weise von der Organisation DAAD zuständig. Sie gab den Studenten immer wieder Anregungen, sich zu bewerben. Von einem graduierten Germanisten kann man ja mit Recht erwarten, dass er eine Zeit in einem deutschsprachigen Land verbracht haben soll. Glücklicherweise stehen den Studenten heute genügend Angebote zur Verfügung. Die Erfahrungen, die die Studenten während dieser Auslandsaufenthalte sammeln, reichen aber weit übers persönliche Erleben von Landeskunde hinaus. Man wird nämlich nicht nur sprachlich viel besser, sondern wird auch selbstbewusster und erwachsener. Für den entscheidenden Punkt bei diesen Reisen, was sie auch immer motiviert hat, hält Frau Tichy die Tatsache, dass die Studenten dabei in ihren Persönlichkeiten gewonnen haben. Parallel damit wird auch die Einstellung der Studenten anders, sie lernen neue Kulturen kennen und ziehen Vergleiche. So entsteht die interkulturelle Kompetenz (übrigens eines der Forschungsthemen von Frau Tichy - Red.).

Geschichtliches Grundwissen und zeitgeschichtliche Realität
„Ich wollte nach der Vorlesung sicher sein, dass jeder weiß, wann der Zweite Weltkrieg war; ähnlich wie der Mauerbau, der Mauerfall und die Wiedervereinigung“. Meilensteine der deutschen Geschichte, denen jeder Germanistikstudent im zweiten Semester begegnete. Das alles kam in der Vorlesung Landeskunde vor, wo wir unsere Lektorin zum ersten Mal getroffen haben. Grundwissen der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts war der eine Punkt, den Frau Tichy in der Vorlesung angestrebt hatte. Außerdem hat sie den Studenten viel über die zeitgeschichtliche Realität in Deutschland vermittelt, in erster Linie im Seminarrahmen. Das spannende daran war, dass wir in diesen Seminaren unsere ersten Referate gehalten haben. Da standen wir plötzlich vor einer Gruppe und wir sollten präsentieren, was wir mit unserer eigenen Recherche ermittelt hatten. Die Themen wie Kultur, Politik, Religion u.ä. waren grob angegeben, jeder konnte das Thema in kleinen Gruppen bearbeiten. Das war sozusagen der erste Schritt dafür, unsere eigenen Ideen umzusetzen.

Ideen selbst verwirklichen
Wir erinnern uns gerne auch an die gemeinsamen Gruppenreisen, mal zu den IDS-Tagungen in Mannheim, mal anlässlich des GeMa/Insel-Workshops in Berlin. Nur zwei Beispiele, wo wir verschiedene Orte in Deutschland erkundet haben, und dabei, ähnlich wie bei den Klassenfahrten in der Schule, einander besser kennen gelernt und neue Freundschaften geschlossen haben. Frau Tichy hat erkannt, dass wir Studenten es gerne machen. Eine Gruppenreise ist für viele Studierende eine gute Möglichkeit, die ersten Schritte im Ausland im Schutz der Gruppe zu machen. Nächstes Mal ist man schon mutig genug und fährt alleine.
Sie hatte nie Schwierigkeiten, Leute für ihre Ideen zu gewinnen. Es geht da nämlich nicht um den Reisespaß selbst, Frau Tichy ist ja keine Reiseveranstalterin. Sie bezeichnet es als eine Art „lokale Erkundung“. Das bedeutet, dass man in die Praxis (in unserem Fall nach Deutschland) geht, und ein Produkt erstellt, in dem das eigene Anliegen der Studenten spürbar wird. Im Laufe der sechs Jahre ihrer Tätigkeit an der Uni Szeged entstanden verschiedene Produkte als Ergebnis der gemeinsamen Arbeit mit den Studenten: Artikel, Bilder, Filme und eine Radiosendung, die auch für Interessierte aus Deutschland gedacht war. Wir schauen und hören uns immer wieder stolz und nostalgisch diese Memoiren an, und erzählen gerne, dass wir da mitgemacht haben. Wie Frau Tichy auch. Sie nimmt viele schöne Erinnerungen mit nach Hause.

Ein neues Kapitel in der Geschichte unserer Zeitung
Zu ihren schönsten Erinnerungen gehört natürlich auch die Zeit, die sie bei der GeMa- Redaktion verbracht hat. Die Geschichte, wie Frau Tichy ins GeMa-Seminar geriet, klingt beim ersten Hören etwas lustig: Institutsleiter Géza Horváth hat unserem Chefredakteur Tamás Kispál die Hilfe von Frau Tichy angeboten, ohne dass sie davon gewusst hätte. Obwohl sie vorher kein besonderes Interesse für das Mitmachen bei der Zeitung hatte, hat Frau Tichy alles gemacht, damit das GeMa gut läuft. „Ein Semester später habe ich zu Géza Horváth gesagt, dass ich Spaß daran habe und weitermache“. Frau Tichy hat sich sehr gut in die Redaktion integriert und eingelebt. Wenn wir an Frau Tichy denken, denken wir nicht nur an die DAAD-Lektorin, sie ist viel mehr: der Grundgedanke eines Workshops mit anderen deutschsprachigen Studierendenzeitungen in Ungarn ist auch in ihrem Kopf geboren. Der erste Workshop wurde in Szeged von Frau Tichy organisiert. Das Journalistentreffen ist von Semester zu Semester zu einer Tradition gewachsen: Debrecen, Piliscsaba und Berlin waren die Stationen der Workshopreihe. Sie bedeuteten für uns Redaktionsmitglieder nicht nur ein Treffen mit den Studentenjournalisten aus den gut gekannten Zeitungen, sondern wir erwarben dabei auch immer breitere Kenntnisse im Bereich des Journalismus. Wie wir erfahren haben, hat Frau Tichy zuvor mehrere Erfahrungen mit Medien gemacht. Sie hat Medienwissenschaft studiert, was damals „visuelle Kommunikation“ genannt wurde. Sie hatte drei Schwerpunkte: Kunst, Photographie sowie Fernsehen und Film. Obwohl sie sich mit dem letzteren während des Studiums eher theoretisch beschäftigte, hat sie später mit den Studenten immer wieder Filmprojekte gemacht. Zum Beispiel in Rostock, wo sie früher unterrichtet hat. In diesem Film ging es darum, wie Leute, die zu der Zeit der Wende Studenten waren, jetzt leben. Daher ist es kein Zufall, dass Frau Tichy die Projekte und Workshops professionell organisiert.
Und da Frau Tichy in dem GeMa-Leben sehr vermisst werden wird, lassen wir voneinander hören; „Und ich hoffe, dass ich das GeMa zugeschickt bekomme“- fügt Frau Tichy hinzu.

Nächste Station: Berlin
Frau Tichy kehrt mit erledigten Aufgaben nach Hause. Das Buch „Minderheiten und Medien“, das im Rahmen ihres letzten Projekts an der Uni Szeged in gemeinsamer Arbeit mit Studenten entstand, ist kürzlich erschienen. Ab Oktober unterrichtet sie am Institut für Deutsch als Fremdsprache an der Technischen Universität Berlin. Doch macht sie weiterhin etwas Interkulturelles. Die Mehrheit der Studierenden, die sie unterrichtet, kommen aus verschiedenen Ländern und machen ihren Master in Deutschland. Andererseits arbeitet sie an neuen Projekten. Mit dem ersten will sie schon in diesem Jahr anfangen. Das hat viel mit Ungarn zu tun, denn sie untersucht dabei regionale, in Ungarn erschienene DaF-Lehrwerke. Die Germanistik in Szeged bleibt aber keineswegs ohne DAAD-Lektorat. Für die Beratung der Studierenden sorgt ab diesem Semester Frau Dorothea Böhme, die schon ein Jahr als Lektorin an der Uni tätig war und bereits einen Einblick in das Leben in Szeged bekommen hat.
Die meisten unserer schönsten Erlebnisse während des Germanistikstudiums in Szeged sind zweifellos mit der Wirkung von Frau Tichy verbunden. Wir freuen uns sehr, dass wir dadurch Teil einer Studentengeneration waren, die während der Studienjahre an dem etwas Mehr beteiligt war und über die Bücher und den Studienalltag hinausschauen konnte. Wir wünschen unserer DAAD-Lektorin weitere schöne Unterrichtsjahre und hoffen, sie einmal als Gast in Szeged wiederzusehen.