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Zeitung << 1/2010 << Wirtschaftsdeutsch für Germanisten in Szeged
Wirtschaftsdeutsch für Germanisten in Szeged
Interview mit Dorothea Böhme
Autorinnen: Anna Angyalka Lukács, Csilla Sztankó
Dorothea Böhme unterrichtet seit September 2009 an der Universität Szeged. Wir kennen die immer lächelnde deutsche Lektorin von den Wirtschaftskursen, ihr Interesse beschränkt sich aber nicht nur auf diesen Bereich.
Wie ist es dir gelungen, dich hier in Szeged einzuleben?
Ich wohne in einer WG mit zwei Ungarinnen und einer Französin zusammen. Wir sprechen leider nur Englisch, so kommt mein Ungarisch etwas kurz, das ist aber besser wegen der Verständigung. Ich habe mich in Szeged gut eingelebt. Ich habe in Ungarn sehr hilfsbereite Menschen kennen gelernt, sehr hilfsbereite und fleißige Studierende. Es ist sehr angenehm mit ihnen zusammen zu arbeiten. Wenn ich Hausaufgaben gebe, werden die von jeder und jedem gemacht. Bei SchülerInnen, die nicht so ganz zum Deutschlernen motiviert sind, ist das oft anders.
Du hast auch Straßenkinder in Ecuador unterrichtet. Welche Erfahrungen hast du mit ihnen gemacht?
Das war eine ganz andere Erfahrung, aber es ist auch sehr traurig. Besonders Ecuador ist von Klassenbewusstsein geprägt. Man kann den Kindern viel beibringen, sehr viele kluge Kinder sind dabei, die wirklich lernen wollten, die begeistert waren. Aber man weiß, dass man nur ein bisschen helfen kann, damit sie einen halbwegs vernünftigen Job finden, mit dem sie über die Runden kommen, gut leben werden sie nie können. Das ist sehr traurig, besonders wenn man die Kinder wirklich kennen lernt. Da gab es zum Beispiel einen Jungen, so ein kluges Kind habe ich noch nie gesehen! Er war vier und eigentlich noch im Kindergarten. Er hatte keine Lust zu spielen und hat sich immer neben die Kinder gesetzt, die schon in die Schule gingen, und hat bei den Hausaufgaben mit zugeguckt. Da hab ich sie mal gefragt: Wie viel ist 5+7, es kam aber keine Antwort… und der Kleine auf einmal: 12! Ich war richtig fasziniert!
Im Laufe des Semesters haben wir mitgekriegt, dass du eine längere Zeit in Österreich verbracht hast. Was hast du dort gemacht?
Ich habe meine Promotionsarbeit in Österreich angefangen. Nach einem Jahr hatte ich aber die Möglichkeit, dank eines Stipendiums, zwei Monate in Italien an der Uni Triest zu forschen. Leider war es damals ziemlich kalt – ich war da im Februar und März – so war ich wirklich gezwungen in der Bibliothek zu sitzen.
Du bist schon so viel um die Welt gekommen. Könntest Du Dir vorstellen Dein ganzes Leben im Ausland zu verbringen?
Ich habe noch keine konkreten Zukunftspläne, kein konkretes Lieblingsland. Ich könnte mir vorstellen, im Ausland zu wohnen, aber es kommt natürlich darauf an, welche Kultur es ist und wie man dahin kommt.
Du hast viele Hobbys wie Fechten und auch Schauspielen. Kannst du das hier auch ausleben?
Leider nicht. Am Anfang habe ich mich ein bisschen umgeschaut und versucht eine Theatergruppe zu finden, aber keine gefunden. Ich habe aber sowieso so viel zu tun, dass es mir momentan gar nicht so richtig wichtig ist. Ich müsste vielleicht mal ein Projektseminar in dieser Richtung anbieten.
Hältst du außer Wirtschaft noch andere Kurse an der Uni Szeged?
Ja, im vorigen Semester habe ich außer den Wirtschaftskursen noch zwei Sprachübungen gehalten. Ich habe jeweils ein Thema für diese beiden Seminare ausgesucht. Ich wollte unbedingt einen Kurs rund um Berlin machen, weil ich dort zwei Jahre lang studiert habe und die Stadt sehr gern mag. Im Rahmen dieses Seminars haben wir u.a. Literatur, Musik und Kunst behandelt, aber wir haben uns natürlich auch mit Tourismus in Berlin beschäftigt.
Privat habe ich eine Vorliebe für neueste deutsche Literatur, deswegen habe ich das als Thema der zweiten Sprachübung gewählt. Goethe lese ich zwar sehr gerne für die Uni, aber wenn ich abends zu Hause im Bett noch was lese, ist es meistens jemand, der nach 1960 geboren wurde.
Du hast ja eigentlich Literaturwissenschaft studiert und hier an der Uni hältst du Wirtschaftskurse. Vermisst du die literaturwissenschaftliche Tätigkeit?
Die habe ich privat noch, weil ich meine Doktorarbeit schreibe. Jedes Wochenende beschäftige ich mich mit Literatur und bin sehr froh, dass ich unter der Woche mit Wirtschaft Abwechslung habe. Das Thema der Doktorarbeit ist die Bedeutungswandlung des Dionysischen und Apollinischen in der modernen Literatur in der Zeit nach Nietzsche. (z.B. Hesse, Thomas Mann).
Wirtschaft und Literaturwissenschaft sind zwei ganz unterschiedliche Bereiche. Wie bist du auf die Idee gekommen, dich mit Wirtschaft zu beschäftigen?
Nach meinem Grundstudium in Berlin habe ich in Tübingen weiterstudiert. Dort wurde ich auf ein Angebot über Wirtschaftskurse für geisteswissenschaftliche StudentInnen aufmerksam. Einige Semester später habe ich auch auf Spanisch Wirtschaftskurse an der Uni gemacht, die mir aber wegen meiner Vorkenntnisse schon leicht gefallen sind.
Wie kommst Du mit der ungarischen Sprache voran?
(lacht) Langsam, aber es geht täglich vorwärts. Als ich wusste, dass ich nach Szeged komme, habe ich einen Selbstlernsprachkurs gekauft, mich in den Zug gesetzt, die Kopfhörer aufgesetzt, und dann geübt: „Dorothea vagyok“. Jetzt habe ich drei Sprachkurse die Woche… diese Woche hatte ich die Erkenntnis, dass Ungarisch doch logisch aufgebaut ist!
Würdest du eine längere Zeit in Ungarn verbringen?
Ich weiß noch nicht, was die Zukunft bringt. Eins ist aber sicher: Ich bin die Nachfolgerin von Frau Dr. Ellen Tichy, und bleibe als DAAD-Lektorin noch mindestens zwei Jahre an der Uni Szeged.
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