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Zeitung << 2/2010 << Entgrenzung des Raumes. Alexander Lernet-Holenia und das östliche Europa


Entgrenzung des Raumes. Alexander Lernet-Holenia und das östliche Europa
Vortag von Detlef Haberland in Szeged

Autor: Sándor Török

Das Institut für Germanistik in Szeged konnte im letzten Semester Detlef Haberland aus Oldenburg als Gast begrüßen. Er hat am 22. September 2010 einen Vortrag für die an österreichischer Literatur Interessierten gehalten. Neben der Betreuung der Student_innen an wissenschaftlichen Arbeiten hat Haberland auch ein Thema aus seinem weiten Forschungsinventar, sozusagen als Geschenk, nach Szeged mitgebracht.

Alexander Lernet-Holenia gehört nicht gerade zu den Autor_innen, die an den Besprechungen über österreichische Literatur teilnehmen, doch kann auch er ein weites Spektrum an Werken, Preisen und Mitgliedschaften aufzeigen.
Geschichte, Politik und Krieg bilden die Grundlage der Romane von Lernet-Holenia. Zu diesem Lebenswerk hat Haberland eine spannende, sogar weiterführende Leseweise erstellt. Die Schwerpunkte der literarischen Besprechung waren: Geschichte, Geographie und deren Symbolik; kurz „Räumliche Zusammenhänge“, wie es Haberland formulierte. Auch Ungarn mitsamt seiner Vorgeschichte floss in den Erzählkosmos des Autors hinein. Mit dieser Anspielung auf unsere geographische Betroffenheit gipfelte der Vortrag über den Autor Lernet-Holenia in der Besprechung des Romans Der Mann im Hut (1937), dessen Handlung in der Gegend von Tokaj spielt und eine Suche nach Attilas Grab enthält. Hier wurde dem Publikum auch ein interessanter Textausschnitt präsentiert, in dem Charon auf der Tisza erscheint.
In seiner Untersuchung der symbolischen Geographie bei Lernet-Holenia, präsentierte Haberland auch andere schöne Beispiele für die literarische Nutzung der europäischen Geographie. Das Werk Ein Traum in Rot (1939) drückt eine überaus symbolische Auffassung über den Osten aus. Der Osten verfügt über eine enorme und natürlich – hier wird er politisch – über eine gefährliche Kraft. Dessen Ursprung ist im Grunde der asiatische Kontinent, der „ein Tier aus Erde“ ist. So wird das Haus, das nach Osten ausgerichtet ist, in der Erzählstruktur ein von der Kraft des Ostens gefährdetes Objekt. In diesem Roman kann man aber auch andere Schwerpunkte entdecken, die sich mit der Person des Protagonisten beschäftigen. Er ist ein Dämon, ein Teufel, der Antichrist, der von Dschingis-Kahn abstammt. Aber das Böse, das er verbreitet, erwächst ausschließlich aus seinem Wunsch, Gutes zu tun. Seine Güte erweist sich stets als tödlich. Daher sagt die Kritik aus gegenwärtiger Perspektive, dass diese Seite des Prosawerks als ein Verweis an die Machtergreifung von Hitler zu verstehen ist.
Geographie als Schwerpunkt lässt sich aber auch an anderen Werken unseres Autors lokalisieren. Die Standarte (1934) enthält einen Gang durch die Monarchie, einen Denkgang über die Gesetzmäßigkeiten der Politik, über die Vergeblichkeit der Idee eines einheitlichen Reiches. Aber den überzeugendsten Grund für die geographisch-symbolische Deutung dieser Prosawerke bietet der Roman Mars im Widder (1941). Ein deutsches Regiment marschiert am 1. September 1939 nach Polen. Sie gelangen, anstelle der realen Geographie, in einen Zwischenraum. Ein Raum zwischen Krieg und Frieden, in dem Krabben und andere Panzertiere nach Westen rollende Panzer repräsentieren.
Das Publikum erlebte diese Veranstaltung als einen interessanten Beitrag neben den anderen Lektüren, die wir von Zeit zu Zeit verarbeiten müssen, aber auch wollen.
Dies ist ein Lebenswerk, das neben dem anderer extremer und genialer Autor_innen in Österreich in die Peripherie geraten ist, wo Germanist_innen wie Detlef Haberland es auffinden können.