Startseite | Impressum | Zeitung | Beiheft | Archiv nach Autoren | Archiv nach Rubriken








Zeitung << 2/2010 << Der Räuber


Der Räuber
Österreichische Filmwoche in Ungarn

Autorinnen: Eszter Tápai, Szabina Varga

Im Rahmen der österreichischen Filmwoche (23.-29. September 2010) wurde der Film Der Räuber (A bankrabló) in Ungarn das erste Mal gezeigt. Die österreichische Filmwoche wird jedes Jahr vom Ungarischen Filmarchiv und vom Österreichischem Kulturforum (ÖKF) in Budapest organisiert.

Das Motto der Filmwoche 2010 lautete: „Kreuzungen – Filmbeziehungen zwischen Österreich und Ungarn – damals und heute“. Der Räuber, der schon sowohl in Österreich als auch in Deutschland erfolgreich war, war der Eröffnungsfilm. Der österreichische Film wurde auch in Szeged, und zwar im Grand Café am 28. September 2010 gespielt. Da haben wir gedacht: „Das müssma uns anschaun!“
Das Drehbuch wurde auf der Grundlage des gleichnamigen Romans von Martin Prinz geschrieben. Beide Verarbeitungen gehen aber auf eine wahre Geschichte zurück. Johann Kastenberger (im Film Johann Rettenberger, dargestellt von Andreas Lust) lebte 1958-1988, war ein österreichischer Bankräuber, Mörder und begabter Marathonläufer, der sogar mehrere Wettkämpfe gewann. Mit 19 Jahren verübte er sein erstes Verbrechen. Einige Jahre später soll er einen Mann erschossen haben, weil er ihn genervt hat. Er hat alle Straftaten mit einer Pumpgun begangen, während er eine Ronald Reagan-Maske trug. Deshalb nannte man ihn „Pumpgun-Ronnie”. Er raubte mindestens neun Banken aus. Der Film bleibt der Legende treu. Das Ende der Geschichte bildet eine Ausnahme. In der Wirklichkeit hatte ihn die Polizei schon fast gefangen, er wurde angeschossen und nahm sich in diesem Augenblick das Leben, aber im Film…

Die Handlung
Johann Rettenberger wird aus dem Gefängnis entlassen. Er trainiert schon damals jeden Tag, er ist Marathonläufer. Jetzt kann er endlich seinen Gedanken freien Lauf lassen. Er trainiert regelmäßig weiter, läuft so viel und wohin er mag. Er ist aber nicht ganz allein. Sein Bewährungshelfer folgt ihm, Johann steht unter Beobachtung. Er muss sich immer auf dem Arbeitsamt melden und einmal trifft er eine alte Bekannte wieder. Erika bietet ihm ein Zimmer in ihrer Wohnung an, und so kann Johann bei ihr untertauchen. Es entwickelt sich eine Romanze zwischen ihnen. Erika weiß aber nichts von Johanns Leidenschaft, Banken zu überfallen.
Rettenberger ist nicht nur Marathonläufer, sondern auch Bankräuber. Er begeht seine Taten nicht wegen des Geldes. Er will dadurch nicht reich werden oder luxuriös leben. Er gibt das Geld gar nicht aus. Seine Leidenschaft besteht nur daraus, dass er die Banken mit Hilfe einer Maske und einer Pumpgun überfällt und dann mit dem Geld zu Fuß flüchtet.
Er braucht Bewegung, treibt extrem viel Sport und kann nie anhalten. Er nimmt am Wiener Marathon teil und gewinnt den ersten Platz. Als er auf dem Weg nach Hause wieder von einem Polizei-Beamten verfolgt wird, reagiert er auf einmal sehr aggressiv und erschlägt ihn mit dem Pokal. Er flüchtet danach.
Später wird er in Erikas Wohnung von der Polizei festgenommen, aber sie kann ihn nicht lange aufhalten. Er springt aus dem Fenster, und es gelingt ihm, sich zu verstecken. Ab diesem Zeitpunkt wird er in ganz Österreich gesucht. Er muss sich eine andere Bleibe suchen. Er bricht in ein fremdes Haus ein, und als der Hausherr nach Hause kommt, fesselt er ihm Hände und Füße. Da er aber nicht vorsichtig genug ist, zieht der Gefesselte ein Messer aus seiner Hosentasche und verletzt ihn. Johann läuft schnell davon und klaut das Auto des Mannes. Er flüchtet mit dem geklauten Auto auf die Autobahn, seine Geschichte geht aber bald zu Ende. Er kann gegen seine starke Verletzung nichts tun, er ruft Erika an und…

Einige Bemerkungen zum Film
Der Regisseur betont nicht die Geschehnisse, sondern den Charakter von Johann Rettenberger. Das Verhältnis der Hauptfigur ist einem Raubtier ähnlich. Die Sehnsucht nach Freiheit treibt ihn. Die ständige Bewegung, vor allem das Laufen, gehört zu seinem Alltag. Sperrt man ihn ins Gefängnis, ist es, als sperrte man ein wildes Tier in einen Käfig. Am Gesicht des Protagonisten kann man die Gefühle kaum ablesen, und es stellt sich nicht heraus, welche Gedanken ihm im Kopf herumspuken. Während des ganzen Films lacht bzw. lächelt er vielleicht zweimal. Seine Motivationen sind für die Zuschauer_innen ebenso unbekannt. Er lebt wie ein Roboter. Die einzigen menschlichen Gefühle, die auch nur in einigen Momenten zum Ausdruck kommen, sind die Liebe und die Eifersucht. Johann Rettenberger lässt nur eine Person, seine Freundin an sich heran, trotzdem bleibt er auch in intimen Situationen kalt. Natürlich gibt es heutzutage ohne erotische Szene keinen Film mehr, weil sonst niemand mehr ins Kino gehen würde.
Als seine Freundin darauf kommt, dass sie einen Bankräuber liebt, zieht sie die Maske an. Das war eine der unheimlichsten Szenen. Man sieht die ganze Situation aus der Perspektive von Rettenberger. Man tritt mit ihm ins Zimmer, sieht den Rücken der Freundin. Plötzlich wendet sie sich um und man bzw. Rettenberger erblickt quasi sich selbst. Das Bild ist schockierend! Die Kameraeinstellung spielt nicht nur in diesem Fall eine wichtige Rolle. Jeder Banküberfall ist anders gestaltet und interessanterweise kann man den Protagonisten immer aus einer anderen Perspektive sehen.
Im Film wird großer Wert darauf gelegt, die natürlichen Verhältnisse widerzuspiegeln. Im Gegenteil zu den meisten Filmen hören wir hier nichts bis auf den Lärm, der zum Alltag gehört. Jedes Mal, wenn Rettenberger mit dem Auto fährt, sogar am Ende, als er auf der Autobahn mit dem geklauten Auto rasend flüchtet, macht er das Radio an und hört alle Arten von Musik oder Nachrichten, in denen auch über ihn berichtet wird. Es ist oft schwierig zu verstehen, was die Darsteller sagen, weil die Gespräche von den störenden Geräuschen zurückgedrängt werden und oft Dialekt verwendet wird. Zum Film wurde eine Filmmusik komponiert, die nach langer Diskussion doch gestrichen wurde, da sie nicht zum Film passte. Johann Kastenberger habe wahrscheinlich auch nur Radio gehört. Der Regisseur strebt nach einer lebensnahen Darstellung der Ereignisse, und die Stille bzw. die Verschwiegenheit der Figuren ist ein gutes Mittel dafür.
Der Regisseur, Benjamin Heisenberg nimmt keine Stellung, will niemanden be­ein­flussen, bleibt neutral. Der Film ist zu Ende, Musik läuft und man sitzt da mit einem Fragezeichen...