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Zeitung << 2/2010 << „Ihr seid alle Arschlöcher.“


„Ihr seid alle Arschlöcher.“
Thilo Sarrazin: Deutschland schafft sich ab

Autor: Zoltán Tóth

Thilo Sarrazin, ein Mann, über den man nur all zu oft in den Medien hört. Aber wer steckt hinter der Person, die zu Studierenden einfach mal sagt, dass sie Arschlöcher seien?
Wenn man einmal davon absieht, welche radikalen Aussagen er gemacht hat, könnte man über ihn sagen, dass er das Leben führt, wovon viele Deutsche nur träumen können. Er stammt aus einer vornehmen Familie, und als Kind musste er nichts entbehren. Seine Dissertation behandelte das Thema der Wirtschaftsgeschichte, aus einem Blickwinkel, den er auch noch heute nur all zu gern benutzt, nämlich des Kritischen Rationalismus (siehe unseren Rahmentext). Auf dem Höhepunkt seiner bisherigen Karriere war er nicht nur Mitglied des Vorstandes der Deutschen Bundesbank, sondern auch zugleich einer der wichtigsten Politiker_innen der SPD.
Als ich sein Buch „Deutschland schafft sich ab“, das am 30. August 2010 erschien, angefangen habe zu lesen, hat es mich sofort in seinen Bann gezogen. Für mich als Verfechter des rationalen Denkens war es beinahe schon beruhigend, es zu lesen, denn auf den ersten Blick basierte es auf drei Sachen: Fakten, Fakten, Fakten. Das Problem entsteht aber, wenn man jene hinterfragt, denn erst dann wird einem klar, dass es einige Untersuchungen überhaupt nicht gegeben hat. Hier könnte man sich die Frage stellen, ob der Zweck wirklich die Mittel heiligt? Sarrazin stellt Deutschland dar als ein Land, welches jegliche Katastrophe überstanden hätte, sei sie auch noch so verheerend gewesen. Nach seiner Auffassung gibt es eine neue Gefahr für sein Land, nämlich die Ausländer_innen, die alles, was Deutschland einmal ausgemacht hat, umgestalten wollen. Seine Logik ist für jedermann leicht zu verstehen: Wenn die Deutschen immer weniger Kinder kriegen, die Ausländer_innen jedoch immer mehr, und dazu noch weitere Einwanderer/Einwanderinnen kommen, dann wird sich „Deutschland einmal abschaffen“. Die Möglichkeit, dass eine Kultur sich in eine andere integrieren, oder diese vielleicht auch noch bereichern könnte, zieht er nicht einmal in Erwägung. Aber was kann man von einem Mann auch erwarten, der in einem Interview einfach mal sagt: „Alle Juden teilen ein bestimmtes Gen, Basken haben bestimmte Gene, die sie von anderen unterscheiden“. Bei späteren Gesprächen hat er jene Aussage als einen Fehler zugegeben. Ich persönlich glaube auch, dass es ungewollt war und es nichts damit zu tun hatte, dass er Werbung für sein Buch machen wollte.
Eine heftige Debatte kam auch auf, als er sich über Hartz IV, besser gesagt über dessen Empfänger_innen äußerte. Er würde die Personen, die vom Staat leben, nicht respektieren, und sie sollten glücklich darüber sein, dass sie 4,25 Euro für das tägliche Brot haben. Seine groteske Antwort, die er auf Kritiken gab, lautete wie folgt: „Das kleinste Problem von ‚Hartz IV‘-Empfängern ist das Untergewicht.“
Die Tatsache, dass Thilo Sarrazin ein Parteimitglied der SPD ist und sich trotzdem so scharfe Äußerungen erlaubt, blieb auch in der Politik nicht ohne Konsequenzen. Angela Merkels Antwort auf die Sarrazin’sche Auffassung, dass Deutschland immer dümmer wird, war eindeutig. Was er von sich gibt, ist alles Unsinn. Hier gibt er zum ersten Mal zu, dass er keine genauen Fakten kennt. Er ergänzt sie ganz einfach, indem er sagt: Wenn das jemand widerlegen kann, dann habe ich mich geirrt – aber so lange bin ich im Recht. Es scheint beinahe so, als würde Sarazzin einen Kampf wie Don Quijote gegen seine Riesen führen, nur dass der von Sancho Panza stets unterstützt wurde, während die SPD, versucht, sich von ihrem Politiker zu trennen.
Ob man nun über ihn denkt, dass er ein Radikaler sei, oder ob er einer der Menschen ist, die endlich mal ihre Meinung sagen und keine einfachen Mitschwimmer sind, sei jedem selbst überlassen. Aber der Fairness halber muss man sagen, dass jede Aussage auch einen Hintergrund hat, so wie auch die im Titel genannte Äußerung, welche er zu Studierenden gesagt hat. Diese 30 Personen haben das Büro des damaligen Finanzsenators gestürmt, in der Hoffnung so gegen die Einsparungen an den Hochschulen zu protestieren. Sie wurden erst beschimpft und dann von der Polizei „hinausbegleitet“. Ob Thilo Sarrazin sich richtig oder falsch verhalten hat, muss die Leserin oder der Leser selbst entscheiden, denn ich hätte solche Gäste auch nicht zu einem Tee eingeladen….


Der Kritische Rationalismus ist eine von Karl R. Popper begründete philosophische Denkrichtung. Popper beschreibt ihn als Lebenseinstellung, „die zugibt, dass ich mich irren kann, dass du recht haben kannst und dass wir zusammen vielleicht der Wahrheit auf die Spur kommen werden“. Kennzeichnend ist ein vorsichtig optimistischer Blickwinkel auf Leben und Dinge, der in den Buchtiteln „Alles Leben ist Problemlösen” und „Auf der Suche nach einer besseren Welt” seinen Ausdruck findet.