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Zeitung << 2/2010 << „Wir umarmen dich, Theater!“


„Wir umarmen dich, Theater!“
Tag der offenen Tür im Nationaltheater in Szeged

Autorin: Éva Karl

„Theater wird erst wirklich, wenn das Publikum innerlich mitspielt.“ Diese Worte von Hermann Bahr wurden im Oktober 2010 verwirklicht, als das Nationaltheater in Szeged seine Türen für Interessent_innen öffnete. Was hat dieser Tag angeboten? Bunte Programme, viele Überraschungen und eine große Umarmung.

Am 14. Oktober 2010 fand im Nationaltheater in Szeged Tag der offenen Tür statt. Die Veranstaltung wurde vom Theater und der Universität organisiert. Die Veranstaltung haben Sándor Gyüdi, der Hauptdirektor des Theaters, Dr. Gábor Szabó, der Rektor der Universität Szeged, und Balázs Ament, der Vizepräsident der Studentischen Selbstverwaltung der Universität Szeged (SZTE EHÖK) eröffnet. Danach sollten wir entscheiden, was uns besser gefallen würde: eine Tour hinter den Kulissen zu machen oder mit den jungen Schauspieler_innen Rollen zu spielen? Warum lassen wir nicht lieber György Bodnár eine Starfrisur für uns machen? Die Tanzstunde mit den Tänzer_innen wird sicher auch gut sein. Zu viele Programme, zu wenig Zeit. Endlich habe ich mich entschieden, dass ich zuerst hinter die Kulissen gucke.
Der Spaziergang wurde von einem jungen Schauspieler, Roland Rédei geführt. Er war nicht nur ein Fremdenführer, sondern auch ein Künstler: Es hat einen echten Genuss geboten, seine gebildete Sprechweise und seine angenehme Stimme zu hören. Zuerst haben wir hinter die Bühne geschaut. Es war wirklich interessant, „auf der anderen Seite“ zu stehen. Statt Schimmer und Licht haben wir verschiedene Dekorationsstücke gesehen. Wir haben erfahren, dass die Bühne zwei Seiten hat: eine „weibliche“, und eine „männliche“ Seite, wegen der verschiedenen Ankleiderräume. Die Bühne selbst wird in mehrere Teile aufgeteilt, diese sind die „Straßen“, und die Schauspieler_innen müssen immer wissen, welche Straße zu benutzen ist, wenn sie auf die Bühne gehen sollen. Roland hat uns auch erklärt, dass vor der Aufführung der/die Regisseur_in für das Stück verantwortlich ist, aber wenn die Aufführung beginnt, spielt der/die Inspizient_in die Hauptrolle. Er oder sie führt nicht nur die Schauspieler_innen, sondern muss auch die Arbeit des Orchesters, der Beleuchter_innen und der anderen Teilnehmer_innen miteinander in Einklang bringen.
Es war ein großes Erlebnis, als wir in der Mitte der Bühne stehen konnten. Dieser Platz gibt Raum für eine Welt, in der alle anders sind als in der Realität. Auf der Bühne ist alles möglich. Du kannst die Julia von Romeo sein, wenn du möchtest. Oder würdest du lieber als eine Hexe jemanden mit Flüchen überhäufen? Wenn du auf der Bühne stehst, scheint alles deins zu sein, aber nur für einen Abend. Wir können die Schauspieler_innen um ihr Leben beneiden.
Unser Fremdenführer hat uns auch gelehrt, den Zuschauerraum mit anderen Augen zu sehen. Habt ihr zum Beispiel gewusst, dass der Leuchter eine Tonne wiegt? Wenn er repariert werden muss, dauert es einen Tag, ihn hinunterzulassen. Alles läuft eigentlich so ab im Theater. Wir sehen nur das Endergebnis, das vollkommene Spiel, die wunderschönen Kostüme, die harmonischen Melodien, das Licht und den Schein, aber wir haben keine Ahnung, wie viel Arbeit es bedeutet.
Außerhalb dieses Spaziergangs hinter den Kulissen konnten die Interessenten am Tag der offenen Tür noch an vielen Programmen teilnehmen. Man konnte sich beispielsweise für eine Sprachtechnikstunde anmelden, oder die Vorführung von Janó Papp, dem Kostümbildner besichtigen, oder mit der Opernsängerin Júlia Vajda sich aufs Singen einstimmen. Am Nachmittag haben uns Studierende der Uni unterhalten, sie haben bekannte Lieder aus Operetten gesungen. Leider konnten wir uns nicht in Improvisationsspielen ausprobieren, weil sie wegen Krankheit nicht stattfanden.
Der 14. Oktober ist der Welttag der Umarmung. Das habe ich schon am Morgen erfahren, als ich auf dem Széchenyi Platz in Szeged eine kostenlose Umarmung bekommen habe. Dieser Gedanke hat sich auch im Theater gezeigt. Der Tag hat mit einem Flashmob-Programm geschlossen, es hieß „Wir umarmen dich, Theater!“. Die Teilnehmer_innen sollten das Theater mit ihren Armen umfangen, was symbolisch zu verstehen war.
Wir umarmen dich, Theater, weil wir dankbar dafür sind, was du uns gibst. Wir danken dir, dass wir mit deiner Hilfe für einige Stunden aus dem Alltag heraustreten und ihn danach mit neuer Kraft fortsetzen können.