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Zeitung << 1/2011 << „Gottes Freund und aller Welt Feind“
„Gottes Freund und aller Welt Feind“
Leben und Wirken des größten deutschen Piraten
Autor: Szabolcs Nuszpl
Fast jeder kennt heute die Abenteuer Jack Sparrows und seiner Piraten der Karibik, und seit der Kindheit sind wir mit den Heldentaten von Robin Hood und seinen Helden in Strumpfhosen vertraut. Aber wer kennt (in Ungarn) die Geschichte von Klaus Störtebeker und den Likedeelern? Da diese aber mindestens genauso spannend ist, soll sie hier erzählt werden.
Seit 1401 lebt eine Legende überall an der Nord- und Ostseeküste Deutschlands, von den riesigen Städten bis zu den kleinsten versteckten Dörfern; eine Legende, die die Väter ihren Söhnen in kalten Winternächten beim Feuer sitzend erzählen; die Legende eines Piraten, der nach seiner Enthauptung an elf seiner Gefährten vorbeigegangen ist, damit ihr Leben gerettet werde – die Legende Klaus Störtebeker. Eine Geschichte aus dem dunklen Spätmittelalter über Brüderschaft, Tapferkeit und Heldenmut.
Aber was hatte dieser Pirat Schreckliches getan, dass er hingerichtet wurde? Um auf diese Frage eine Antwort zu bekommen, müssen wir uns anschauen, in was für einem Zeitalter Störtebeker lebte. Er ist vermutlich um 1360 in Wismar geboren, aber seine genaue Herkunft ist unbekannt. Wir wissen nicht, wer seine Eltern waren oder ob er eine Familie hatte. Wir wissen aus alten Quellen nur, dass es 1380 in Wismar eine Schlägerei in der Stadt gab, in der ein Bürger namens Nicolao Stortebeker schwer verletzt wurde. Und nach dieser Vermutung wird dieser Nicolao Stortebeker der spätere Freibeuterkapitän der Ost- und Nordsee, Klaus Störtebeker.
Alle gegen alle
Am Ende des 14. Jahrhunderts kämpften die dänische Königin Margarethe I. und der König von Schweden, Albrecht III. (Herzog zu Mecklenburg) gegeneinander um die Herrschaft über Schweden. In diesem Kampf genoss Albrecht III. die Unterstützung der Vitalienbrüder (die Bruderschaft der Seefahrer). Sie versorgten 1389-1392 das belagerte Stockholm von See aus. Der Begriff „Vitalien“ stammt vermutlich aus dem französischen vitailleurs, was während des hundertjährigen Krieges der Name der das Heer versorgenden Truppen war (Viktualien = Lebensmittel). Um die Macht Dänemarks weiter zu schwächen, erhielten die Vitalienbrüder so genannte Kaperbriefe von Mecklenburg, die ihnen das Recht gaben, die Schiffe der Dänen und ihrer Verbündeten, vor allem Lübeck, anzugreifen, zu versenken und die Häfen der mecklenburgischen Städte frei zu benutzen und die erbeuteten Waren auf deren Märkten zu verkaufen. Ein gutes Geschäft für alle Beteiligten.
Die Seeräuberei der Kaperfahrer nahm aber langsam in solchem Maße zu, dass auch die Schiffe anderer Hansestädte angegriffen wurden und neben dem finanziellen Interesse der Hanse auch die Versorgung der alltäglichen Lebensbedürfnisse der Nord- und Ostseestädte gefährdet waren. Im Jahre 1395 unterzeichneten Mecklenburg und Dänemark einen Friedensvertrag, in dem den mecklenburgischen Häfen die Aufnahme von Vitalienbrüdern verboten wurde. Aber damit war die Seeräuberei noch nicht zu Ende; ganz im Gegenteil, die Angriffe der Vitalienbrüder, deren Hauptquartier seit 1394 die Stadt Visby auf der Insel Gotland war, wurden immer intensiver. Solange bis sich ihre Feinde entschlossen, die Vitalienbrüder aus Gotland zu vertreiben, was ihnen im Jahre 1398 auch gelang.
Danach zogen die Seeräuber, die sich von diesem Zeitpunkt Likedeeler (Gleichteiler, was sich auf die Aufteilung der Beute bezieht) nannten, unter der Führung Störtebekers nach Ostfriesland. Diese Operationsbasis mussten sie aber dank der politischen Tätigkeit der Hanse bald verlassen, Störtebeker zog nach Helgoland und setzte den Kampf gegen die Hanse unter der Losung „Gottes Freund und aller Welt Feind“ fort. Aber auch der größte Pirat konnte sein Schicksal nicht vermeiden. Am 22. April 1401 wurde Störtebeker in einer Seeschlacht vor Helgoland von Simon von Utrecht besiegt, gefangen genommen und nach Hamburg transportiert, wo er am 20. Oktober 1401 mit 73 anderen Seeräubern auf dem Grasbrook enthauptet wurde. Aber bevor er geköpft wurde, ging Störtebeker mit dem Bürgermeister von Hamburg eine Wette ein: Der Bürgermeister versprach, dass alle Gefährten am Leben bleiben, an denen Störtebeker nach seiner Enthauptung vorbeigeht. An elf Männern soll der Geköpfte vorbeigegangen sein, bevor der Henker ihm ein Bein stellte. Aber der Bürgermeister hielt sein Versprechen nicht, und alle 73 Seeräuber wurden hingerichtet.
Die Hanse konnte zwar schließlich den Mann besiegen und töten, aber die Legende nicht. Der Störtebeker-Mythos lebt noch immer, seit 600 Jahren. Und obwohl einige Forscher behaupteten, dass Klaus Störtebeker in Wirklichkeit Johann Störtebeker hieß und ein Kaufmann aus Danzig gewesen sei, der bis 1413 lebte und nichts mit Seeräuberei zu tun hatte, sind Städte wie z.B. Hamburg, Wismar, Verden, Marienhafe immer noch voll mit Denkmälern und Museen über Störtebeker. Und Jahr für Jahr werden Festspiele veranstaltet, wo sein Leben und seine Heldentaten den nachkommenden Generationen weitervererbt werden. Selbstverständlich wurden auch Filme über seine Taten gedreht. 2006 brachte die ARD einen Zweiteiler über ihn, mit dem scheinbar ein Anknüpfen an neuere Hollywooderfolge versucht wurde. Der Kinofilm „12 Meter ohne Kopf“ von 2009 hingegen zeigt die Vitalienbrüder als einen lebendigen Haufen von Revoluzzern, die mit den Schlachtrufen „Freiheit für Friesland“ und „Fick die Hanse“ ins Gefecht ziehen.
Sein Vermächtnis lebt
Auch heute noch hat Störtebeker viele Anhänger. Vor allem norddeutsche Punks sehen in ihm ein großes Vorbild, und die Hamburger Band Slime widmete ihm ein Heldenlied (siehe Infokasten). Auch die Fans des FC St. Pauli, der seit dieser Saison wieder nicht mehr in der Bundesliga vertreten ist, halten sein Andenken in Ehren. So wehen zu jedem Spiel des Hamburger Traditionsvereins die Totenkopffahnen im Stadion. Daher gehörten auch die Fans des Vereins zu den ersten Verdächtigen, als der Schädel Störtebekers (jedenfalls vermutet man, dass es seiner ist) am 9. Januar 2010 aus dem Museum für Hamburgische Geschichte verschwand. Inzwischen ist der Piratenkopf zwar wieder aufgetaucht. Die Umstände seines Verschwindens sind aber immer noch nicht geklärt und die Täter nach wie vor unbekannt. Der Fall Störtebeker scheint jedenfalls nach wie vor eine beliebte Aufgabe der Hamburger Sicherheitsbehörden.
Was übrigens den Namen „Störtebeker“ betrifft, gibt es dafür eine Erklärung, nach der das nur ein Spitzname war, der auf die Trinkfähigkeit des Seeräubers hinwies. Etymologisch kann es aus dem Niederdeutschen von „Stürz den Becher“ abgeleitet werden. Nach der Legende konnte Störtebeker seinen 4-Liter-Humpen in einem Zug leeren … Na ja, wenn er es wirklich schaffte und manchmal auch übte, dann hätte er höchstwahrscheinlich seine Hinrichtung nicht erlebt.
Was können wir von den großen norddeutschen Piraten lernen? Störtebeker und die Likedeeler waren freie Menschen, die sich ihre Unabhängigkeit bewahrten und von keiner Partei vereinnahmen ließen. Und nicht vergessen: Nur nicht den Kopf verlieren! Und falls doch, dann muss es auch weitergehen!
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