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Zeitung << 1/2011 << Poesie der Gegensätze


Poesie der Gegensätze
Ein unvergessliches Varietéerlebnis in Berlin

Autorin: Adrienn Jurkovics

Wenn man in Berlin spazieren geht, sieht man nicht so viele Altbauten, aber im tiefen Dschungel der neuen Gebäude sind noch einige längst vergessene Edelsteine, die noch die alte Zeit beschützen, als es noch Varietés und oft besuchte Theater gab. Eines der auf diese Weise lebenden Theater in Berlin heißt Chamäleon Theater.

Das Chamäleon Theater wurde 1991 eröffnet, obwohl die Hackeschen Höfe, in denen dieses Gebäude liegt, schon am 22. September 1906 betretbar waren. Dazwischen kamen die Kriege, und es wurde alles zerstört. Die Gebäude bringen den Jugendstil von August Endell und beleben die alten Bräuche wieder. Im Laufe der Zeit wurden nicht nur Theaterstücke gespielt, sondern es gab auch Varieté-Vorstellungen. Das berühmteste Varieté ist durch die Arbeit und die Regie von Markus Pabst und dem Produzenten Gregg Parks zustande gekommen, aber den größten Beitrag hat absolut der Choreograph Gabriel Castillo geleistet, was außer Frage steht, wenn man die Varieté-Vorstellung sieht.
Ich habe das Varieté selbst gesehen, und nach diesem Erlebnis kann ich sagen, worauf die Berliner Zeitung abzielte, als sie schrieb, sie seien die „Meister des Showgeschäfts“. Die Gruppe nennt sich Circle of Eleven und ihre Vorstellung heißt Versus. Mit diesem Wort kann man vieles meinen, aber in diesem Fall ist es das Beste, wenn man genau über die Gefühle spricht, die man während des Varietés fühlt. Sinnlichkeit versus Kraft. Gleichschaltung versus Individualität. Dieses Varieté spiegelt den Kosmos der Leidenschaften. Wenn wir diese Versus-Beispiele schon am eigenen Leib gespürt haben, werden wir den Titel verstehen: Die Poesie der Gegensätze.
Der Choreograph hat die Essenz der Gegensätze gefangen und die Rollen mit Frauen und Männern besetzt. Doch gibt es einen größeren Gegensatz als den zwischen Männern und Frauen? Die Liste der Mitglieder ist nach dem Geschlecht eingeteilt und es spielen gleich viele Frauen und Männer mit. Die Artisten bilden zu zweit ein „Liebespaar“, die ihre eigenen Gefühle durch Tanzen darstellen. Die Bewegungen sind ganz graziös und natürlich, und in Harmonie mit der Musik wirkt das ganze Geschehen sehr natürlich. Die Musik folgt der Bewegung der Artisten und führt die Gefühle während des Verlaufs der Story immer weiter. Während der Show läuft immer passende Musik, entweder „Anthony and the Johnsohns“ oder „Muse“. In den romantischen Szenen spielen sie „Anthony and the Johnsohns“, weil man beim Hören dieser Musik ein sehr sensitives Gefühl bekommt.
Nach dem romantischen Gefühl kommt eine intensive, zum Tanz auffordernde Musik, „Muse“. Dies ist schon richtige Rockmusik, die der Artistik Schwung verleiht und mit harter Arbeit einhergeht. Die meisten Artisten haben eine Vergangenheit als Breakdancer oder haben sich mit Ballett beschäftigt. Aus den Bewegungen kann man ganz genau lesen, wer eine vorangehende Ballettausbildung hat oder wer früher Breakdance tanzte. Die Requisiten sprechen auch von Kraft und Künstlichkeit. Die Männer nutzen im Allgemeinen ein Holzruder, das vom Dach hängt und an dem sie hinaufklettern. Neben dem Holzruder benutzen sie des Öfteren noch eine andere Requisite: das Seil. Die Frauen nutzen entweder den Hula-Hoop-Reifen oder sie drehen sich auf einigen Holz-Stücken herum. Alle akrobatischen Einlagen sind sehr gefährlich, aber die Artisten vertrauen einander. Das Vertrauen ist der Kern des Stücks.
Versus lief mit viel Erfolg, und die Qualität war immer die Beste. Als ich die Vorstellung gesehen habe, konnte ich nur ohne zu klatschen sitzen und staunen, was für ein Wunder auf der Bühne geschieht. Das waren die schönsten zwei Stunden, die ich je im Theater verbracht habe.